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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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Leben, so viel wusste ich. Doch wie leicht hätte es anders sein können? Einen Stundenkilometer schneller, einen Sekundenbruchteil später auf der Bremse, ein, zwei Zentimeter weiter rechts oder links? Der alles überstrahlende Gedanke jedoch, das Gefühl, das mich nicht losließ … war Bewunderung .
    »Er hat viel Blut verloren«, sagte der Arzt, der etwa in mei nem Alter, aber ausgezehrt, übermüdet und auf abseh bare Zeit nicht für eine Rolle in Holby City zu gebrauchen war. »Es hat ihn böse erwischt.«
    Wie böse? , wollte ich fragen, aber er war noch nicht fertig, und in solchen Situationen möchte man die schlechten Nachrichten so weit hinauszögern wie möglich. Soll der Arzt sein Sprüchlein aufsagen, er macht das nicht zum ersten Mal, er weiß, was er tut.
    »Sein Bein ist ziemlich verdreht«, sagte er. »Er hat Schnittwunden, mehrfache Brüche und Muskelrisse …«
    Langsam wurde mir schlecht. Die Stimme des Arztes war sanft, obwohl die Worte härter wurden.
    »Ich fürchte, dass seine Achillessehne gerissen ist. Wir mussten …«
    Mir wurde schwindlig.
    Genug.
    »Ist er okay?«, sagte ich. »Ist Dev okay?«
    Vier Stunden später.
    Pamela hatte uns was bei Kentucky Fried Chicken geholt, aber ich konnte mein Hühnchen nicht anrühren. Zu viele Knochen. Zu viel loses Fett, so warm und fettig.
    Pamela lutschte an den Knochen, bis sie mich sah, grau wie der Tee in meiner Hand.
    Da knallte die Tür.
    »Erheeebe dich aus deinem Graaab!« , war das Erste, was wir hörten, als Dev von einem Mann ins Zimmer gerollt wurde, den er uns stolz als Charles, seinen neuen besten Freund, vorstellte. Charles’ Namensschild entnahm ich, dass er Phil hieß.
    Devs Bein war eingegipst, sein Gesicht blutig und geschwollen, doch er wirkte seltsam glücklich.
    »Ich hab mir ziemlich schlimm das Bein gebrochen!«, sagte er und wedelte mit seinem Schlüsselring herum. »Und noch so Sachen.«
    »Dev«, sagte ich. »Weißt du, was du getan hast?«
    »Was bleibt einem denn, wenn man nicht hin und wieder mal jemandem das Leben retten kann?«
    »Aber das hast du getan!«, sagte ich. »Du hast jemandem das Leben gerettet! Du bist ein Held!«
    »Das Wort würde ich nicht gerade verwenden«, sagte er großherzig. »Aber tu dir nur keinen Zwang an. Hallo, Pamela.«
    »Dev«, sagte sie. »Danke.«
    Wir wussten nicht so recht, wofür sie ihm dankte, aber wir spielten mit, denn es klang ziemlich positiv.
    »Scheißauto«, sagte er. »Vectra! Der Typ war am Telefonieren. Hat mich erst im letzten Moment gesehen. Er hat noch versucht auszuweichen, hat mich dann aber voll getroffen, am … am … äh …«
    »Bein«, sagte Pamela hilfreich.
    »Ja. Am Bein. An diesem .«
    Er zeigte auf den Gips.
    »Und wir haben die verdammten Golden Joysticks verpasst«, sagte er kopfschüttelnd.
    »Wir gehen nächstes Jahr hin«, sagte ich.
    »Könnten wir es nicht noch zur Afterparty schaffen?«
    »Du hast dir ein Bein gebrochen, mein Freund«, sagte ich. »Und ich bin mir sicher, dass du voll auf Morphium bist.«
    »Bin ich wirklich!«, sagte er nickend. »Es verhilft mir zu einem bemerkenswerten Wohlergehen. Wir sollten uns was davon für zu Hause besorgen. Abbey könnte Omelettes daraus machen. Ich frage mich, was Nummer eins in den Charts ist.«
    Ich versuchte, die Situation einzuschätzen.
    »Wahrscheinlich sollte ich dich etwas ruhen lassen«, sagte ich, und Charles nickte, als wäre ich ein medizi nisches Genie. »Kann ich dich irgendwohin mitnehmen, Pamela?«
    »Ich bleibe«, sagte sie, und Dev versuchte, mir heimlich zuzuzwinkern, was dermaßen heimlich war, dass vermutlich sogar die Leute in Deutschland es gesehen haben.
    An der Tür – erschöpft, glücklich, erleichtert – drehte ich mich um.
    »Weißt du, was das bedeutet, Dev?«
    »Sehr wohl, Sir. Ich muss rund um die Uhr betreut werden.«
    »Es bedeutet, dass du was getan hast, Dev.«
    Er neigte den Kopf.
    »Es war dein Moment, und du hast ihn genutzt.«
    An diesem Abend kam ich aufgewühlt nach Hause. Ich konnte nur daran denken, dass ich beinah Dev verloren hatte.
    Die Menschen, die dich umgeben, sind ein Teil von dir. Ihr habt eine gemeinsame Geschichte. Sie können sie sogar mit dir gemeinsam schreiben. Und wenn du einen verlierst, verlierst du damit ein Stück von dir, egal wie du ihn verloren hast.
    Also setzte ich mich an meinen Computer. Ich versuchte, eine E-Mail zu schreiben. Ich versuchte, in Worte zu fassen, was ich fühlte. Ich wollte sagen, dass es mir leidtat, uneingeschränkt

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