Auf den Flügeln der Sehnsucht
Gesicht des Fremden ging ihr nicht aus dem Sinn.
* * *
Der Sturm heulte ums Haus. Frank Palleda saß in der guten Stube und blätterte in der Tageszeitung. Martin Baumann, der alte Bauer, leistete ihm Gesellschaft beim Nichtstun. Er hatte den Fernsehapparat eingeschaltet und verfolgte interessiert die Nachrichten.
"Ein schlimmes Wetter ist heut", stellte er fest und furchte sorgenvoll die hohe Stirne. "Es gefällt mir gar nicht, dass meine Tochter allein auf dem Berg ist."
"Ich hab ihr Milas Vorschlag mitgeteilt", antwortete Frank und ließ die Zeitung sinken. "Sie ist sehr starrköpfig, deine Tochter. Dabei hätte sie Mila noch einen Gefallen getan, wenn sie sie auf den Berg gelassen hätte. Mila könnte jetzt sicher ein bisschen Ruhe gut gebrauchen. Und die hätte sie gehabt, wenn Karl mit seiner Frau mitgegangen wäre, um ihr zu helfen. Ich finde, die beiden haben es verdient, dass man sich um sie kümmert."
Verwundert blickte der alte Bauer seinen Verwalter an. "Hast ja recht, Frank", stimmte er zu. " Musst halt noch mit Lena reden. Sie wird sich sicher umstimmen lassen, wenn du sie gar schön darum bittest." Er schmunzelte vor sich hin und widmete sich wieder seinen Nachrichten.
Frank lauschte. Eben hatte er geglaubt, ein Auto in den Hof einfahren gehört zu haben. Doch dann war wieder Stille. Hatte er sich geirrt? Sicher, denn es tat sich eine ganze Zeitlang gar nichts.
Dann läutete es. Frank sprang auf und lief zur Haustür. Plötzlich erfüllte ihn die unsinnige Hoffnung, Lena könnte auf irgendeine wundersame Weise doch noch den Weg ins Tal gefunden haben. Er öffnete.
"Marion!" Er war ehrlich überrascht.
Eine hübsche junge Frau stand draußen mit langen nassen Haaren und großen Augen, die jetzt ziemlich unglücklich dreinschauten. "Störe ich? Ich hab gedacht, ich könnte eine Woche früher kommen."
Frank trat zu Seite. "Komm herein, Marion. Du bist jederzeit willkommen. Ich hab schon mit Lena, d er Bäuerin, geredet. Sie hat nichts dagegen, wenn du eine Weile bei uns bleibst." Man konnte ihm ansehen, wie sehr er sich darüber freute, seine kleine Schwester nach so langer Zeit wiederzusehen.
"Hoffentlich bekommst du jetzt nicht Ärger wegen mir."
" Lass den Unsinn", schimpfte er gutmütig und nahm sie in die Arme. "Bestimmt bist du ziemlich müde von der Fahrt. Unsere Hausmagd hat schon deine Kammer gerichtet. Du siehst, wir haben nur noch auf dich gewartet."
Marion begann zu schluchzen. "Es ist alles so schrecklich", jammerte sie verzweifelt. "Warum nur ist Gerd so ein herzloser Mensch? Ich hab gedacht, er liebt mich wirklich. Dabei hat er mich auf gemeinste Weise betrogen und hintergangen."
"Vergiss ihn", riet Frank ihr und wusste doch im selben Moment, wie wirklichkeitsfremd dieser Ratschlag war. "Entschuldige", fügte er leise hinzu. "Gerade ich dürfte so etwas nicht sagen." Er nahm ihre Reisetasche und den Koffer, die Marion vor der Tür hatte stehen gelassen, und trug sie bis zur Treppe. "Jetzt musst du noch den Bauern begrüßen", entschied er und ging, Marion noch immer an der Hand haltend, zur guten Stube.
Martin Baumann blickte freundlich auf, und als Frank ihm die Schwester vorstellte, schaltete er sofort den Fernseher leise. "Sie sind also Marion", stellte er fest und schaute sie von Kopf bis Fuß genau an. "Ein fesches Madl sind Sie, wenn ich das so sagen darf."
Obwohl Marion eigentlich tief traurig war musste sie lächeln. Martin Baumann war ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, und er schaffte, was zuvor noch keinem gelungen war. Er erreichte, dass Marion für eine Weile sogar ihren Kummer vergaß.
Sofort kam die junge Frau Martins Einladung nach, sich noch eine Weile zu ihm zu setzen, wenn sie nicht zu müde war. Und während Frank in der Küche rasch eine Kleinigkeit zu Essen zubereitete, hörte er immer wieder das fröhliche Lachen seiner kleinen Schwester aus der guten Stube.
Ihm wurde ganz warm ums Herz, wenn er daran dachte, dass seine arme Schwester nur deshalb lachte, weil der alte Bauer den richtigen Ton fand, um sie abzulenken. Marion war richtig fröhlich, als er das Essen auf den Tisch stellte, und sie verzehrte den kalten Braten mit ausgezeichnetem Appetit.
"Eine saubere Schwester hast, Frank, die mir sofort als Schwiegertochter willkommen gewesen wäre", stellte der Bauer zufrieden fest. "Wenn Josef sie kennengelernt hätte, dann..." Sein eben noch
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