Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Flügeln der Sehnsucht

Auf den Flügeln der Sehnsucht

Titel: Auf den Flügeln der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Burgemeister
Vom Netzwerk:
gar nicht mehr an den Fremden gedacht hatte. Doch jetzt, in der Ruhe, war die Begebenheit von gestern wieder ins Heute zurückgekehrt. Sie drehte den Kopf zur Seite - und erstarrte.
       Dort stand das Auto, genau wie am Vortag. Sie konnte nicht erkennen, ob jemand drinnen saß, doch sie vermutete es. Im ersten Impuls wollte sie aufstehen und hingehen, doch dann unterließ sie es. Sie erhob sich und ging ins Haus zurück. Arco folgte ihr sofort.
      Ihre Knie zitterten, als sie sich auf den Stuhl setzte. Warum war er wiedergekommen? Bezweckte er etwas mit diesem Verhalten? Vielleicht hatte er auch ei n Verbrechen vor, wollte sie womöglich sogar umbringen! Vielleicht war er ein Lustmörder.
       Lenas Angst wurde groß und immer größer. Und als es schließlich an die Tür klopfte war sie überzeugt davon, in Ohnmacht zu fallen, wenn es der Fremde war.
       Sie erhob sich und öffnete, ihr Gesicht war freundlich und gleichmütig. "Guten Tag. Sie wünschen?" Krampfhaft hielt sie sich an der Türklinke fest, und erst, als sie Arcos Kopf an ihrem Knie spürte fühlte sie sich wieder ein bisschen besser.
       "Störe ich? Ich sah Sie gestern, als sie an mir vorbeiliefen. Sie schauten mich so erschrocken und gleichzeitig forschend an, dass ich sie einfach wiedersehen musste." Sein Lächeln wirkte etwas unsicher.
       "Möchten Sie hereinkommen?" Sie trat zur Seite.
       "Danke."
       "Sind Sie auf Urlaub hier? Darf ich Ihnen ein Glas frische Milch bringen? Wir haben öfter Urlauber in unserer Gegend, die nur auf die Alm kommen wegen der guten Milch." Langsam kehrte Lenas Mut zurück. Gefährlich sah er eigentlich gar nicht aus, überlegte sie und betrachtete ihn heimlich von der Seite. Er war ziemlich groß, schlank und hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das ihm jetzt wirr in die Stirne fiel.
       "Milch wäre nicht schlecht", gab der Fremde zu. "Ich hab schon seit Tagen nichts mehr gegessen." Sehnsüchtig blickte er auf den Stuhl. "Darf ich mich setzen?"
       "Natürlich. Möchten Sie ein Brötchen zur Milch?"
       "Ja, danke. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt mit meinem Verhalten." Er legte die Stirne in die aufgestützten Hände und seufzte auf. "Es würde mir leid tun."
       Jetzt wusste Lena genau, dass sie keinen Grund zur Angst hatte. Dieser Mann machte eher den Eindruck eines geschlagenen Helden als eines Verbrechers. "Darum brauchen Sie sich nicht zu sorgen", wehrte sie ab. "Möchten Sie reden? Manchmal ist es einfacher, einem Fremden alles zu erzählen, was einen belastet, weil man weiß, dass man ihn nie wiedersieht. Kann ich Ihnen irgendwie helfen? " fragte sie mitleidig.
       Der Mann schüttelte nur den Kopf. "Helfen kann mir niemand. Ich hab das Liebste verloren, das es für mich gab auf dieser Erde."
       "Ihre Frau?"
       "Beinahe", antwortete der Mann. "Wir waren noch nicht verheiratet. Tina war eine Kollegin und dazu eine begeis terte Motorradfahrerin. Ständig hab ich sie davor gewarnt, wie eine Verrückte durch die Straßen zu fahren. Doch sie wollte nicht hören. Dann ist es passiert. Der Lastwagenfahrer war unschuldig, Tina lag über eine Woche im Koma, wir haben gehofft und gebetet, dann starb sie, ohne das Bewusstsein noch einmal erlangt zu haben."
       Lena nahm sich ebenfalls ein Glas Milch und setzte sich nun ihrem Besucher gegenüber. Mitfühlend legte sie ihre Hand auf die seine.
       Wie erwachend schaute der Mann auf. "Warum nur erzähle ich Ihnen das alles? Ich kenne Sie ja gar nicht."
       "Ich bin Lena, Lena Baumann. Den ganzen Sommer über bin ich auf unserer Hochalm. Mir gehört der Hof, seit mein Bruder, der eigentlich der Hoferbe war, vor über zwei Jahren bei einem Unfall, nein, bei einer Rauferei, ums Leben gekommen ist."
       "Dann haben Sie auch einen lieben Menschen verloren", stellte der Fremde ohne sichtbare Gefühlsregung fest. Jetzt erst griff er nach seiner Milch und trank das Glas in einem Zug leer. "Vermissen Sie ihn auch noch immer?"
       Die junge Bäuerin nickte. "Wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, dann wird nie jemand anderes die Lücke füllen können, die der Tote hinterlassen hat. Doch im Herzen eines Menschen gibt es viele Plätze, die besetzt werden können. Die Lücke verschw indet zwar nicht, doch ich hab die Erfahrung gemacht, dass sie mit der Zeit einen anderen Stellenwert einnimmt, in den Hintergrund rücken kann, damit sie nicht andauernd präsent ist und das eigene Leben auf Dauer zerstört."
       "Wie klug

Weitere Kostenlose Bücher