Auf den Flügeln des Adlers
Richtung gegangen?«, mischte sich Willie ein.
Jenny blieb der Mund offen stehen. »Weiß ich nicht. Sie sind einfach losgezogen. Vor der Dämmerung wollten sie zurück sein, haben sie gesagt.«
»Denen passiert schon nichts.« Willie versuchte, seiner Mutter die verständliche Angst zu nehmen. »Keine Sorge.«
Auch Ben war beunruhigt, aber er vertraute auf die Cleverness seiner Söhne. Jonathan und Saul waren im Busch geboren, und obwohl sie erst neun beziehungsweise zehn Jahre alt waren, wussten sie, wie man da draußen überlebte. Auf der Farm arbeiteten sie wie Männer, und Ben respektierte sie, weil sie im Nehmen hart wie Erwachsene waren. Sie konnten mit dem Vieh umgehen und waren beide ausgezeichnete Schützen mit dem schweren Snider-Gewehr. Fast immer kamen sie mit einem Känguru zur Hütte zurück, das mit den fünf Hunden geteilt wurde.
Rebecca, die die Spannung in der kleinen Hütte spürte, verfolgte das Gespräch der Erwachsenen mit weit aufgerissenen Augen. Willie sah ihr an, wie verängstigt sie war. Er liebte das kleine Mädchen fast so sehr wie seine Mutter. Beruhigend legte er ihr die Hand auf den Kopf, um ihr über die prächtigen goldenen Locken zu streichen. In Aussehen und Art glich sie ihrer Mutter, während seine beiden Halbbrüder mehr nach ihrem Vater kamen. Mit fragendem Blick sah die Kleine zu Willie auf, der ihr mit einem zuversichtlichen Lächeln antwortete.
»Ich reite los und suche nach den Jungen«, sagte Ben, der sich keinerlei Angst anmerken ließ. »Willie, du bleibst hier und baust weiter an den Zäunen.«
Jenny nickte. Sie fühlte sich daran erinnert, wie Ben vor vielen Jahren unbewaffnet losgezogen war, um den Eurasier John Wong vor dem Hinterhalt zu warnen, den ihm die Aborigines auf dem Weg zum Palmer gelegt hatten.
»Ben?«, sagte sie leise und mit einem kaum merklichen Anflug von Furcht.
»Ich weiß«, erwiderte er traurig lächelnd. Die beiden wechselten besorgte Blicke, die jedes Wort überflüssig machten.
Ben nahm ein Gewehr aus der langen Kiste neben ihrem Bett und ließ eine Schachtel Patronen in seine Tasche gleiten. Dann schnallte er sich den schweren Colt um, den Kate ihm bei ihrem ersten Treck nach Westen geschenkt hatte. Jenny holte die Bleikugeln und das Schießpulver aus der Anrichte. Sie liebte dieses Möbelstück wegen der zarten Blumen und Blätter, die an den Kanten eingeschnitzt waren. Es war einer der wenigen Gegenstände in der Hütte, die sie in einem Geschäft gekauft hatten. Aber Ben hatte ihr versprochen, dass sie eines Tages die schönsten Möbel in der gesamten Kolonie haben würde.
Nicht dass ihr materielle Güter so wichtig gewesen wären wie ihr großer, sanfter Ehemann, dem sie über die Grenze gefolgt war. Damals war er neben den riesigen, quietschenden Wagen hergegangen, die von phlegmatischen Ochsen gezogen wurden. Im Schatten dieser Fuhrwerke hatte sie ihre Söhne zur Welt gebracht. Nur Rebecca war in ihrem jetzigen Heim geboren worden.
Nachdem Ben die Vorbereitungen für seine Suche abgeschlossen hatte, drückte er seine Tochter liebevoll an sich und strich seiner Frau sanft über die Wange. Sie presste ihr Gesicht in seine breite, von der Arbeit schwielig gewordene Hand. Beim Abschied flossen keine Tränen, weil Jenny sich und den anderen nicht eingestehen wollte, dass sie sich um Mann und Söhne sorgte, doch sie schloss kurz die Augen, um den Duft nach frisch geschlagenem Holz und Tabak einzusaugen, der sich in den Poren von Bens Haut festgesetzt hatte.
Ben schwang sich in den Sattel und trieb sein Pferd mit einem sanften Tritt an. Während er an den Koppeln vorbeiritt und auf die in der Hitze flimmernden, bewegungslosen Sträucher blickte, hatte er für einen flüchtigen Augenblick den Eindruck, der Busch würde nach der Hütte greifen.
Als er außer Sicht war, nahm Jenny Rebeccas Hand und führte sie in die Hütte. Dort durfte sie die Tochter ihre Tränen sehen lassen. Zu weinen war das Vorrecht der Frauen. Männer ertrugen ihren Schmerz still.
Das Gelächter der Frauen und Kinder verwandelte sich in Schreie des Entsetzens, als sie aus dem trockenen Bachbett in den Schutz der Büsche flüchteten.
Terituba riss einen Speer aus dem Bündel zu seinen Füßen und stellte sich dem großen, bärtigen Weißen entgegen, der sich ihnen plötzlich näherte. Wie hatte ein Weißer sie so überraschen können? Fluchend schickte er sich an, die mit Widerhaken versehene Waffe auf den Mann zu schleudern, der ihm im Bachbett furchtlos
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