Auf den Flügeln des Adlers
ihm lag. Verbittert hatte er erkennen müssen, dass aus ihm nie ein großer Künstler werden würde. Vor ihm lag das Leben eines Söldners – das kannte und beherrschte er. Zumindest konnte er sich im Dienst der Briten an Orten seinen Lebensunterhalt verdienen, an denen ein englischer Akzent nicht willkommen war. Als Ire war er in diesen gefährlichen Gegenden weniger verdächtig.
Zusammen mit dem Brief hatte ihn ein Angebot erreicht, für England einen weiteren Auftrag zu übernehmen. Offenbar hatten die gesichtslosen Männer gewusst, dass er für sie arbeiten würde, wenn er erst das Schreiben gelesen hatte. Sie hatten sich nicht getäuscht. Wenn ihm auch sonst nicht viel geblieben war, seine Ehre war Michael wichtig. Hätte er gewusst, dass sich sein Sohn für Catherine interessierte, hätte er ihrem Charme widerstanden. Dazu war es nun zu spät, aber er konnte immerhin versuchen, das seinem Sohn, den er fast gar nicht kannte, zugefügte Unrecht wieder gutzumachen.
Stunden später kehrte Catherine mit einem Korb voller Köstlichkeiten vom Markt zurück. Sie hatte ein romantisches Abendessen bei Kerzenlicht auf dem kleinen Balkon geplant, der auf das Meer hinausging. Danach würden sie sich auf dem großen breiten Bett lieben.
Irgendwie kam ihr das Zimmer leer vor. Als sie sich umsah, stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass Michaels einziges Gepäckstück, eine abgetragene Reisetasche, fehlte. Dafür lag auf dem Bett ein großer Umschlag. Die aufsteigende Furcht verwandelte sich in nackte Panik.
»Nein«, hörte sie ihren eigenen erstickten Schrei. Der Inhalt des Korbs ergoss sich über den Boden. Sie taumelte durch den Raum und riss den Umschlag auf. Darin befanden sich eine Fahrkarte für eine Schiffspassage und ein Brief. Mit bebenden Händen hielt sie das einzelne Blatt ins schwächer werdende Licht. Die Nachricht besagte nicht viel mehr, als dass er eine Fahrkarte für sie gekauft habe und dass es besser sei, wenn sie sich auf diese Weise trennten.
Catherine wurde schwindelig, und sie brach auf dem Bett zusammen. Von Schluchzern geschüttelt, weinte sie sich in den Schlaf. Als sie früh am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich allein. Für einen Augenblick dachte sie daran, ihrem Leben ein Ende zu setzen, doch dann fiel ihr eine Passage aus Michaels kurzem Brief ein.
Die Fahrkarte ist nicht nur für eine Schiffspassage. Sie wird dich an den Ort deiner Bestimmung führen, wo du den finden wirst, der dir ein Leben ermöglichen kann, wie du es verdienst. Was zwischen uns war, wird uns im Winter unseres Lebens als schöne Erinnerung das Herz wärmen. Ich bete, dass du eines Tages verstehst, warum ich dich ohne Abschied verlassen musste. Ich wollte nicht, dass du meinen Schmerz siehst.
Im Licht der Kerze suchte Catherine nach der Fahrkarte und las den Namen des aufgedruckten Zielortes. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Oh, Michael, ich habe dich geliebt«, flüsterte sie. »Ich habe dich wirklich geliebt.«
Tausende Kilometer östlich des griechischen Dorfes weinte eine andere Frau um einen Mann. Hier jedoch schien keine wärmende Sonne, und am Himmel stand das Kreuz des Südens.
Mutterseelenallein saß Kate Tracy im schwachen Licht einer Kerosinlampe in ihrem Büro in Townsville und schluchzte vor sich hin. Nur der klagende Ruf einer Mopoke-Eule durchbrach die Stille der Nacht. Sie hatte bis spät gearbeitet und war beim Aufräumen eines wenig benutzten kleinen Schreibtischs auf Lukes abgenutzte Pfeife gestoßen. Der durchdringende Duft hatte die Türen in ihrem Herzen aufgestoßen. Erinnerungen strömten auf sie ein. Obwohl es schon ein Jahr her war, dass er irgendwo an der Grenze verschwunden war, hatte sie jeden einzelnen Tag um ihn getrauert, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ.
Die alte Pfeife in der Hand haltend, schluchzte sie untröstlich vor sich hin. »O Luke, ich vermisse dich so«, stieß sie hervor, während ihre Tränen auf den Schreibtisch fielen. »Ich sehne mich mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele nach dir.«
»Tante Kate?«, fragte eine liebevolle Stimme an der Tür. »Geht es dir gut?«
Als Kate durch das Dämmerlicht spähte, entdeckte sie Sarah, die zögernd in der Türöffnung stand. »Ich wollte dafür sorgen, dass du bald ins Bett gehst. Du hast in letzter Zeit zu hart gearbeitet.«
»Komm herein«, erwiderte Kate mit einem schwachen Versuch, ihre Tränen mit dem Handrücken wegzuwischen. »Ich wollte
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