Auf den Flügeln des Adlers
Macintosh-Imperiums würden darauf bestehen, dass Granville White die Geschäftsführung vollständig übernahm. Damit wäre Duffy draußen. Und Lady Enid lebte nicht ewig.
Larson war nicht nur ein integrer, sondern auch ein praktischer Mensch. Er würde seine Arbeit erledigen und abwarten, was sich aus den Tatsachen ergab. Zumindest würde er Captain Duffy Gelegenheit geben, sich zu verteidigen. Whites Enttäuschung, als er von der Verzögerung erfuhr, war ihm nicht entgangen. Das war dem Journalisten, der seine Chefin, Lady Macintosh, sehr mochte, zumindest eine kleine Befriedigung.
Unterdessen grinste Granville White boshaft in sich hinein.
Wie einfach war es doch, seinen verhassten Feind in Misskredit zu bringen. Wenn Duffy aus dem Unternehmen verbannt war, hatte Enid ihren mächtigsten Verbündeten gegen ihn verloren. Um seine Ziele zu erreichen, brauchte er nur ein wenig Geld – und absolute Rücksichtslosigkeit.
Granvilles höhnisches Grinsen verschwand, als er in seiner Kutsche durch die Straßen zum Haus seiner Schwester ratterte. Trotz seiner klugen Intrige gegen Duffy konnten die Briefe, von denen ihn seine Anwälte an eben diesem Tag unterrichtet hatten, seine Pläne durchkreuzen. Dieses Problem musste er unbedingt lösen, wenn er seinen Anteil an den Macintosh-Unternehmen erhöhen wollte. Nur ein Mensch stand ihm dabei im Weg: die Frau, die ihm einen Sohn und Erben versagt hatte.
Vor dem dunklen Haus kam die Kutsche ratternd zum Stehen. Granville stieg aus und blickte sich nervös um. Obwohl er sich in seinem Klub Mut angetrunken hatte, hatte er Angst, Fiona könnte nicht allein sein. Es bestand die Gefahr, dass seine Schwester Penelope bei ihr war. Granville hatte vor langer Zeit – und aus gutem Grund – gelernt, sie zu fürchten. Um ein gefährlicher Gegner zu sein, benötigte man nicht brutale Kraft, sondern einen fruchtbaren Geist, der stets neue Intrigen und Gegenintrigen ersann. Diese Fähigkeit hatte Penelope ebenso geerbt wie er.
Als er an der Tür klopfte, öffnete ihm ein schläfriges, übellauniges Dienstmädchen im Nachthemd. »Ich bin Mister Granville White«, erklärte er in arrogantem Ton, bevor die Angestellte ihn wegen des unerwarteten Besuchs zu nachtschlafender Zeit schelten konnte. »Ich bin gekommen, um meine Frau zu besuchen. Geh beiseite, Weib, und lass mich durch.«
Das schlaftrunkene Dienstmädchen versuchte, ihm den Weg zu versperren, doch er fegte an ihr vorüber und reichte ihr dabei gleichzeitig Hut und Umhang. Verwirrt nahm sie beides entgegen. Bevor sie reagieren konnte, war er verschwunden. Sie sah aus der Tür, wo der Kutscher geduldig auf dem Bock wartete. »Alles in Ordnung, Süße«, meinte der grinsend. »Mister White ist wirklich mit Missus White verheiratet.«
Sie zuckte die Achseln und schlurfte in ihre Kammer zurück. So, wie der Mann ausgesehen hatte, war er bestimmt kein Straßenräuber, und wenn er seine Frau besuchen wollte, ging sie das nichts an. Missus White war Gast im Hause des Barons, und sie war nur dem Baron und der Baronin Rechenschaft schuldig.
Granville fand seine Frau in ihrem Zimmer. Sie setzte sich im Bett auf, als die Tür aufschwang. Im Licht des Korridors war seine Gestalt unverkennbar, und Fiona zog instinktiv ihre Decke bis unter das Kinn. Er kam herein und ließ sich auf einem Stuhl neben einer Kommode nieder, die in einer Ecke des Raumes stand.
»Was willst du hier, Granville?«, fragte sie mit ängstlicher Stimme.
»Kannst du dir nicht denken, was der Anlass für diesen seltenen Besuch in deinem Schlafgemach ist?«, sagte er mit schwerer Zunge.
Ihr war sofort klar, dass er getrunken hatte. In diesem Zustand war er am gefährlichsten! »Ich will, dass du sofort dieses Zimmer verlässt!«, zischte sie.
Aber Granville kicherte nur und zündete sich einen Zigarillo an. Für einen Augenblick erleuchtete das Licht des Streichholzes in dem dämmrigen Raum sein schweißüberströmtes Gesicht. »Du befindest dich vielleicht unter dem Dach meiner Schwester, liebes Eheweib, aber nach dem Gesetz bin ich dein Ehemann und besitze Rechte, die ich mir jederzeit nehmen kann. Vergiss das nicht.«
Fiona krallte die Hände in ihre Laken. Übelkeit stieg in ihrer Kehle auf. Himmel! Er war gekommen, um ihr seine unerwünschten Aufmerksamkeiten aufzudrängen.
»Ich will wissen, warum sich meine Töchter gegen mich gewandt haben«, sagte er in drohendem Ton, der ihre Panik noch steigerte.
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst«,
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