Auf den Flügeln des Adlers
Nachmittagsempfang der Baronin von Fellmann vorgestellt hatte. Damals hatten sie über Colonel Custer gesprochen. Michael war der Ansicht gewesen, dass der »Boy General« einer vereinten indianischen Front nicht gewachsen war. Der britische Offizier hatte ihn belächelt, aber Michael hatte Recht behalten. In der Zwischenzeit war George Armstrong Custer mit seinen Männern bei Little Big Horn ums Leben gekommen. »Als Mister Brown mir gesagt hat, Sie würden mich in Sydney kontaktieren, war ich nicht besonders überrascht.«
Der ältere Mann lächelte schief. Obwohl George Godfrey mit Gehrock und glänzendem Zylinder nach der letzten Mode gekleidet war, war ihm der Berufssoldat deutlich anzusehen: Er hielt sich kerzengerade, wobei er nur den Kopf ein wenig neigte, um auf die Welt der Zivilisten herabzublicken. »Ziehen Sie daraus nicht den Schluss, dass ich im gleichen Beruf tätig bin wie mein lieber Freund Horace, Mister Duffy. Meine gelegentliche Unterstützung für ihn sehe ich als meine Pflicht als Soldat der Königin. Wenn ich ihm im Laufe der Jahre den einen oder anderen Gefallen getan habe, dann weil die heimtückischen Versuche der Feinde Ihrer Majestät, den Interessen des britischen Empire zu schaden, vereitelt werden mussten. Ich bin inzwischen Colonel außer Dienst und besitze ein kleines Gut bei Parramatta, das zu meiner Lebensaufgabe geworden ist. Das ist vermutlich das letzte Mal, dass ich Horace behilflich bin.«
Michael lächelte, weil der englische Offizier die Verbindung zwischen sich und Horace Brown so geflissentlich herunterspielte. Geheimdienstarbeit ist keine Tätigkeit für einen Gentleman, hatte Horace ihm einst erklärt. »Das ist auch meine Hoffnung, Colonel«, sagte Michael, wobei er den anderen höflich mit seinem militärischen Titel ansprach. »Es ist definitiv mein letzter Einsatz für die verdammte britische Krone.«
»Eine verständliche Einstellung für den Sohn eines irischen Rebellen«, sagte Godfrey. »Allerdings teilt Ihr Sohn dieses Gefühl offensichtlich nicht. Wenn ich recht unterrichtet bin, hält er sich im Moment mit dem Expeditionskorps im Sudan auf.«
»Sie wissen viel über mich, Colonel«, meinte Michael. »Was können Sie mir über meinen Sohn erzählen?«
Godfrey wusste auch viel über Patrick, aber er war kein Mann, der mehr redete als notwendig, nicht einmal, wenn der Vater des jungen Mannes vor ihm stand. Der frühere britische Offizier hatte einige Jahre für Lady Enid Macintosh gearbeitet und zugesehen, wie Patrick zu einem Mann heranwuchs, auf den jeder Vater stolz sein konnte. Allerdings nur, wenn er nichts dagegen hatte, dass Patrick in den Diensten von Königin Viktoria stand.
»Aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass Ihr Sohn zu den besten Offizieren Ihrer Majestät gehört«, antwortete er. »Offenbar besitzt er eine Vorliebe für das Boxen mit der nackten Faust – ein echter Arbeitersport. Das hat er wohl von Ihnen.«
»Nein, von Max Braun, nicht von mir«, erwiderte Michael mit gespieltem Desinteresse. Dabei war er insgeheim stolz, dass sein Sohn seine einfache Herkunft nicht verleugnete. »Max hat ihm beigebracht, wie man kämpft, genau wie mir, als ich jung war.«
»Er muss ein ausgezeichneter Lehrer gewesen sein«, meinte Godfrey. »Nach meinen Informationen ist Ihr Sohn in seiner schottischen Brigade ungeschlagener Meister. Keine schlechte Leistung, das kann ich Ihnen aufgrund meiner persönlichen Erfahrung während meiner Dienstzeit bei diesen hitzköpfigen Kiltträgern sagen. Schade, dass Ihr Sohn nicht weiß, was sein Vater im Namen Ihrer Majestät für die gute Sache geleistet hat.«
Michael starrte den etwas größeren Mann mit seinem gesunden Auge an. »Er ahnt nicht einmal, dass ich am Leben bin«, schnaubte er bitter. »Außerdem bin ich nicht besonders stolz darauf, dass ich für die Engländer arbeite.«
»Eines Tages wird er herausfinden, dass Sie sich bester Gesundheit erfreuen«, sagte Godfrey, ohne seinem Blick auszuweichen. »Ihre Existenz gehört zu den am schlechtesten gehüteten Geheimnissen, die ich kenne.«
»Scheint so«, sinnierte der Ire. Er richtete den Blick auf die Häuser von The Rocks. Das Viertel sah so zwielichtig aus wie eh und je und wurde von den ehrbaren Bürgern Sydneys gemieden. Wie ein schmutziger, zerrissener Mantel lag die Aura von Verfall und Verzweiflung über Mietshäusern und Gassen. »Hoffentlich wissen in Neusüdwales nicht so viele davon wie offenbar in Queensland.«
»Hoffentlich
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