Auf den Flügeln des Adlers
Die Derwische waren tapfere, fanatische Feinde, die glaubten, dass ihnen der Tod im heiligen Krieg gegen die Eindringlinge, die britischen Marionetten der ägyptischen Regierung, einen Platz im Himmel sicherte.
Patrick beobachtete, wie die schwitzenden Soldaten zwischen den verkrüppelten Mimosensträuchern auf den zerklüfteten, kahlen Hängen Steine sammelten. Hinter ihm kämpften die eingeborenen Kamelführer der Intendanzabteilung mit ihren sturen Tieren und versuchten, die Militärausrüstung für das nächtliche Biwak abzuladen. Während Patrick zusah, wie sich die Armee eingrub und für einen eventuellen Angriff wappnete, suchte er mit den Augen die Hügel der Umgebung ab. Wie ein dünner Film stieg Staub auf, der das Licht der untergehenden Sonne über der täuschend friedlichen Landschaft filterte. Die Posten waren in Stellung gegangen und starrten durch die ihnen zugewiesenen Öffnungen in der Schanze. Patrick war mit den Vorbereitungen zufrieden. Er wusste, dass die zerklüfteten Hügel der Armee im Falle eines Angriffs einen Vorteil verschafften.
»Glauben Sie, die kommen heute Nacht, Sir?«, wollte Private MacDonald wissen, der sich eben zu Patrick gesellte. »Oder sind sie abgehauen?«
»Die kommen wieder«, antwortete Patrick mit einem Blick auf die Ruinen des ehemaligen Dorfes. Zwischen den Trümmern waren offensichtlich neue Lehmhäuser errichtet worden. »Fragt sich nur, in welcher Stärke sie zuschlagen.«
»Dabei hatte ich mich schon so auf eine Mütze voll Schlaf gefreut«, grummelte der Soldat. »Und den Tommy-Stängeln geht es nicht anders. Die sind völlig erledigt von dem Marsch.«
»Ich glaube, die würden sowieso nicht schlafen, selbst wenn uns die Männer des Mahdi in Ruhe lassen würden«, sinnierte Patrick. »Sieht so aus, als wollten sie sich im Kampf beweisen. Da werden ihre Ängste sie wohl wach halten.«
Private MacDonald wusste, was sein Offizier meinte. Männer, die nie in der Schlacht gewesen waren, schlugen sich häufig mit der Furcht herum, dass sie der Mut verlassen würde, wenn das Töten begann. Würden sie davonlaufen? Merkwürdig, dass Offiziere nie Angst zu haben schienen, überlegte der Gefreite. Zumindest die Jüngeren von ihnen setzten sich in der Schlacht immer an die Spitze ihrer Männer. Captain Duffy war auch so. Wenn der Kampf begann, zeigte er nicht die geringste Furcht.
Doch der Gefreite wusste nur wenig von der entsetzlichen Angst, die alle Offiziere vor einer Schlacht überfiel. Niemandem, noch nicht einmal ihren Offizierskollegen, konnten sie anvertrauen, dass auch sie befürchteten, den Mut zu verlieren und davonzulaufen. Unter der Fassade des kühlen Soldaten, der auch im Gefecht niemals die Beherrschung verlor, verbargen sich auch bei Patrick die ganz realen Ängste eines Mannes, der leben und lieben wollte.
Ganz außen an der Schanze schuftete Private Francis Farrell. Er stemmte einen großen Stein hoch und wuchtete ihn auf die kleine Mauer, die allmählich das Bild des Lagers zu prägen begann. Dass sie eine niedrige Schanze als Schutz gegen Angriffe errichten mussten, war für die erschöpften Truppen nach dem anstrengenden Marsch eine unangenehme Überraschung gewesen. Aber so war das in der Armee … marschieren, arbeiten, Wache stehen und wieder marschieren. Irgendwann zwischendrin erlaubte einem die Armee zu essen, damit man marschieren, arbeiten, Wache stehen und wieder marschieren konnte. Ruhe und Schlaf waren ein Luxus, den sich eine Armee auf dem Vormarsch nur leistete, wenn der Befehlshaber sicher war, dass der Feind besiegt war – und nur dann.
Als Private Farrell von seiner Arbeit aufsah, entdeckte er Patrick Duffy, der mit dem Rücken zu ihm auf das Dorf Tamai blickte. Vielleicht war jetzt die Zeit, sich dem Mann zu erkennen zu geben, der eindeutig der Patrick Duffy war, den er im Erin auf den Knien geschaukelt hatte. Er würde ihm von seinem Vater erzählen und was für ein toller Mensch das war, ihm sagen, dass er noch lebte und hoffte, seinem Sohn eines Tages zu begegnen.
Der einstige Polizist aus Sydney richtete sich auf, um den Stein an die richtige Stelle zu schieben. Dabei wurde dem hünenhaften Mann urplötzlich schwindlig. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte.
Stöhnend ließ er sich auf die heiße Erde fallen. Bringt ihn ins Feldlazarett!, hörte er eine Stimme vom Ende eines langen Tunnels rufen. Was musste er als alter Esel auch mit den Jungen mithalten wollen. Eine Schnapsidee war es gewesen, sich überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher