Auf den Flügeln des Adlers
Patrick Duffy.
»Hast du ihn gesehen, seit deine Mutter ihn nach England gebracht hat?«, fragte Penelope sanft, wobei sie nach Fionas Hand griff.
Fiona lächelte traurig. Die Frage weckte einen Schmerz in ihr, der in ihrem Leben ständig gegenwärtig war. Auch wenn die Erwähnung ihres ihr entfremdeten Sohnes die Bitterkeit lange zurückliegender Entscheidungen in ihr wachrief, fühlte sie das Bedürfnis, darüber zu reden. »Nach meinem Besuch bei dir und Manfred in Preußen bin ich zur Familie meiner Mutter nach England gefahren. Ich wollte Patrick in seiner Schule in Eton besuchen …« Ihre Stimme verlor sich, und eine Träne tropfte auf Penelopes Hand.
»Hast du ihn gesehen?«, drängte Penelope leise.
»Nein. Ich hatte Angst vor dem Hass, den meine Mutter ihm gegen mich eingeimpft hat«, flüsterte Fiona und wandte den Blick ab.
Penelope brach das Schweigen nicht. Sie wusste, dass es keine Worte gab, die den Schmerz einer Mutter lindern konnten, die ihren Sohn zweimal in ihrem Leben verloren hatte: einmal, als sie ihn gegen ihren Willen bei seiner Geburt hatte aufgeben müssen, und ein zweites Mal, als sie gezwungen war, zwischen ihrer tiefen, beständigen Liebe zu Penelope und ihrem Sohn zu wählen. Sie hatte sich für Penelopes Liebe entschieden. Es war eine grausame Entscheidung, die ihre Mutter erzwungen hatte, und Fiona musste mit den quälenden Folgen leben.
Schließlich zog Fiona ihre Hand zurück und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich bin in Eton gewesen und habe sogar mit seinen Lehrern gesprochen. Sie waren sehr nett und erzählten mir, dass Patrick zu den Besten seiner Klasse gehöre, aber ein wenig schwer zu bändigen sei. Anscheinend wäre er wegen seines Ungehorsams fast von der Schule geflogen. Die älteren Jungen hielten sich von ihm fern, weil er sie ein paar Mal verprügelt hatte, als sie ihm ihren Willen aufzwingen wollten.«
Penelope lächelte und brach dann in Gelächter aus. »Ganz der Vater«, sagte sie, denn ihr war klar, dass Fiona stolz auf das jugendliche Rebellentum ihres Sohnes war. »Michael hätte sich bestimmt nicht schikanieren lassen, wenn er in Eton gewesen wäre.«
Als Michaels Name fiel, erlosch das Lächeln auf Fionas Gesicht. »Hast du ihn gesehen?«, fragte sie.
Auch Penelope wurde ernst. »Nein, seit Jahren nicht mehr. Manfred verflucht ihn oft. Er hat mir erzählt, dass Michael in Asien gegen die Interessen des Kaisers arbeite. Für diesen grässlichen kleinen Engländer, Horace Brown.«
»Hat Manfred gesagt, wo Michael zuletzt gesehen wurde?«, fragte Fiona leise. Obwohl sie Penelope liebte, war es ihr nie gelungen, die Leidenschaft des jungen Iren zu vergessen, der die Tür zu ihrer tiefen, bis dahin unterdrückten Sinnlichkeit aufgestoßen hatte.
»Angeblich war er letztes Jahr in Schanghai, aber Manfreds Kontaktleute haben ihn dort verloren.« Penelope nahm die Hand Fionas erneut. »Michael Duffy ist wie eine schöne große Katze mit neun Leben.«
»Neun ist eine begrenzte Zahl«, seufzte Fiona. »Ich weiß ja nicht viel über ihn, aber er muss mindestens acht davon schon verbraucht haben. Ich bete, dass mein Sohn ebenso viel Glück hat wie sein Vater.«
Michael Duffy hatte stets zwischen den beiden Frauen gestanden. Penelope plagte immer wieder Schuldbewusstsein, wenn sie mit Fiona im Bett lag. Sie fühlte sich schuldig, weil sie sich dem einzigen Mann hingegeben hatte, den Fiona je wirklich geliebt hatte. Doch sie tröstete sich damit, dass Michaels unruhige, gefährliche Existenz ein normales Leben unmöglich machte. Er war ein Mann, der in den Armen einer Frau immer nur für kurze Augenblicke ein wenig Liebe suchen konnte. Sein riskantes Dasein hatte wenig zu bieten, wenn er das Bett einer Frau am Morgen verließ. Seine Liebe zu Fiona hatte ihn zu dem einsamen Leben getrieben, das er nun führte. »Ich bin sicher, Patrick ist mit dem Glück seines Vaters gesegnet«, sagte Penelope, die wusste, dass sich Fiona um das Schicksal ihres Sohnes im Sudankrieg sorgte. »Den Ägypten-Feldzug hat er ja schon überlebt.« Trotzdem wäre er in Sydney besser aufgehoben, dachte Penelope, selbst wenn er bei seiner Großmutter leben müsste. Sogar deren unbeugsame Härte gegenüber ihrer eigenen Tochter war den Gefahren eines Schlachtfelds vorzuziehen.
»Ich wünschte, ich würde Michael noch einmal sehen«, flüsterte Fiona heiser. »Wenn ich nur mit ihm reden könnte … Vielleicht könnte er Patrick davon überzeugen, dass ich ihn als Baby nicht
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