Auf den Flügeln des Adlers
hatte Patrick gelegentlich im Boxring beobachtet, wenn er seine Brigade gegen andere Einheiten der Armee vertrat, und Patrick war als ständiger Gewinner gefürchtet. Selten musste ihn der Arzt nach einem Kampf behandeln – seine Gegner dagegen häufig.
In einem schottischen Regiment voll harter Männer war es keine geringe Leistung, als bester Kämpfer zu gelten. Patricks Offizierskollegen fanden sein Interesse am Boxen allerdings etwas befremdlich, ihnen lag mehr an Pferden und Karten. Aber auch sie waren stolz auf sein Können in einem Sport, der normalerweise der Arbeiterklasse vorbehalten war. Der junge Captain war bereit, sich jedem Soldaten zu stellen, der sich im Ring mit jemandem aus der Oberschicht messen wollte.
»Machen Sie diesen Mann gesund, Harry«, sagte Patrick leise. »Er und ich, wir haben viel nachzuholen. Mindestens zehn Jahre.«
Der Arzt nickte. »Und jetzt sehen wir uns Ihren Arm an, alter Junge, sonst werden Sie nicht mehr lange für Ihre verrückten Schotten kämpfen können.«
Patrick zog das Hemd aus, und während der Arzt die Wunde untersuchte, starrte er auf den kranken Iren auf der Trage. Ein Tag voll merkwürdiger, erschreckender Vorzeichen, dachte er.
21
Fiona White, geborene Macintosh, traf sich mit der Frau, die sie liebte. Weder Zeit noch Entfernung hatten ihrer Liebe etwas anhaben können. Penelope – auch bekannt als Baronin von Fellmann – war immer noch eine Schönheit. Die Jahre schienen spurlos an ihr vorübergegangen zu sein. In ihren goldenen Flechten fand sich kein graues Haar, und ihre üppige Figur besaß immer noch die Wespentaille ihrer Jugend – wenn auch die starren Stäbe ihrer engen Korsetts dabei ein wenig nachhalfen.
Die dunklere Fiona war ebenfalls so schön wie eh und je, auch wenn sich silberne Fäden in ihre ebenholzschwarzen Haare mischten. Die auffälligen smaragdgrünen Augen leuchteten mit einer Vitalität, die durch die Gegenwart Penelopes noch verstärkt wurde. Als sie im Wohnzimmer von Penelopes luxuriösem Haus nebeneinander saßen, wirkten die beiden Frauen vom Aussehen her völlig gegensätzlich. Fionas schlankere Gestalt, ihr dunkles Haar und die elfenbeinweiße Haut kontrastierten mit Penelopes goldenem Teint und ihrer sinnlichen Üppigkeit. Penelopes azurblaue Augen blickten tief in die smaragdgrünen von Fiona. In ihnen lag eine Liebe, die die beiden Frauen lange hatten entbehren müssen – seit Fiona vor drei Jahren das Gut der von Fellmanns in Deutschland besucht hatte.
Sie war mit ihren Töchtern, Dorothy und Helen, nach Europa gereist, wo die Mädchen, die bald zwanzig wurden, ihre Ausbildung abschließen sollten. Fiona hatte sich für Deutschland entschieden, weil sie wusste, dass Penelope und deren Ehemann Manfred auf die Mädchen aufpassen würden, was ihr sehr wichtig war.
Seit Granville White die eigene Tochter missbraucht hatte, hielt Fiona es nicht mehr für nötig, die Fassade einer Ehe aufrechtzuerhalten. Als sie herausfand, was ihr Ehemann Dorothy in der Bibliothek angetan hatte, hatte sie sogar versucht, ihn zu töten. Nachdem ihr das nicht gelungen war, hatte sie sich für die Trennung entschieden. Ihre Rückkehr nach Australien war nur ein geschäftliches Zwischenspiel, bevor sie nach Deutschland und in Penelopes Bett zurückkehrte.
Manfred wusste, dass seine Frau eine Affäre mit Fiona hatte, und er hatte sogar dafür gesorgt, dass sie gemeinsam eine Woche in einem bayerischen Jagdhaus verbringen konnten, das ihm gehörte. Angst, seine Frau an Fiona zu verlieren, hatte er nicht. Er wusste, dass Penelope auch ihn liebte. Ihre Gefühle mochten anders sein, aber sie waren ebenso stark.
Granville White war sich ebenfalls darüber im Klaren, dass seine Frau ihn mit seiner Schwester betrog. Er akzeptierte die Situation mittlerweile eher aus Gleichgültigkeit. Oder war es Hilflosigkeit? Die Affäre zwischen den beiden Frauen, die viele Jahre zuvor begonnen hatte, hatte ihn jeder Hoffnung auf eine natürliche Liebe zwischen Ehemann und Ehefrau beraubt. Aber er hatte nicht nur seine Frau verloren, sondern auch seine beiden Töchter. Fiona hatte geschworen, er würde sie nie wiedersehen.
Die beiden Frauen unterhielten sich über die Erziehung von Penelopes Zwillingen, Otto und Karl, die fast zehn waren, und über die Fortschritte, die Fionas Töchter an ihrer teuren Schule für junge Damen machten. Beim Thema Kinder kam das Gespräch unweigerlich auf den jungen Mann, den Fiona an ihre Mutter verloren hatte: ihren Sohn,
Weitere Kostenlose Bücher