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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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passiert, wenn wir sterben? Gibt es einen Himmel, wo wir weiterleben, zusammen mit all denen, die uns vorangegangen sind? Was Seamus wohl treibt dort oben, ohne Sam, ohne seinen Traktor, ohne uns? (Wahrscheinlich bessert er löchrige Wolken aus.) Ich war nicht auf seiner Beerdigung, weil es nicht ging. Irgendwann, wenn wir uns wiedersehen, erzähle ich dir alles. Woran erinnerst du dich, Tobey? Woran willst du dich erinnern? An den Tag, an dem du Matt Coulter auf dem Schulhof ein blaues Auge verpasst hast? An die vier Minuten hinter dem Feuerwehrmagazin, als Louise Nesbitt sich nicht gegen deinen Kuss gewehrt hat? (Ich habe ihre Voodoo-Puppe mit Nadeln durchbohrt!) An die erste Fahrt auf dem Motorrad? (Du hast ausgesehen wie ein Wackelpudding auf einem Amboss.) An den Moment, als du Seamus beinahe geschlagen hättest und stattdessen ein Loch in die Tür getreten hast? An den Abend, als du fortgingst? An den ersten Auftritt mit der Band? Anuns auf dem Hügel, am Meer, in deinem Zimmer? (Ich gehe kurz weg, um Kerzen zu kaufen, und schreibe später weiter. Der Ort, an den es mich verschlagen hat, ist seltsam, bei schönstem Wetter fällt der Strom aus, Krebse kommen nachts vom Strand hoch und kratzen mit ihren Scheren an den Haustüren, Frauen besuchen dich und zeigen dir ein Foto ihres toten Kindes, Millionen Schmetterlinge bedecken innerhalb von Sekunden den Rasen …) Ich bin wieder da. Es ist drei Uhr morgens, und ich habe gerade entschieden, diesen Brief nicht wegzuwerfen. Glaubst du, man kann erkennen, wenn man verrückt wird? Denkst du, Cait war dabei, verrückt zu werden? Ich wüsste gerne, ob es ihr damals leichtfiel, wegzugehen. Und ich weiß noch immer nicht, wovon der Bär im Winter träumt. (In diesem Augenblick geht ein heftiger Regen nieder. Du hättest ihn vorausgesagt, Toto, aber du würdest trotzdem staunen, wie finster es am helllichten Tag wird, wie gigantisch der Lärm der Tropfen ist, die auf das Dach schlagen!) Vom Frühling, denke ich, von Wärme und bunten Wiesen und von Honig. Ja, von Wärme und Honig.
     
    Wer liebt dich?
    Megan!

 
    16
     
    Sie fuhren seit einer Stunde, ohne Land zu sehen und ohne einem anderen Boot zu begegnen. Kein Tanker oder Frachter tauchte am Horizont auf, nicht einmal ein Stück Holz trieb im Wasser. Tobey hatte die Leiche des bärtigen Kindes an Land gebracht. Er hatte sie bis zu einem mit Büschen bewachsenen Erdwall getragen und abgelegt. Aus einem Wald waren Rauchsäulen aufgestiegen, die Schläge einer Axt zu hören gewesen. Dort mussten Häuser sein, hatte Tobey gedacht, Menschen, die sich um Jussifs Begräbnis kümmern würden. Er hatte ihm Blätter auf die Augen gelegt und die Blätter mit Steinen beschwert. Dann hatte er ein paar Sätze gesagt, kein Gebet, und war zurück zum Boot gegangen.
    Montgomery schlief, den Kopf im Schatten einer Ruderbank auf ein Tauknäuel gebettet. Tobey hatte das Laken im Wasser getränkt und es sich wie einen Turban um den Kopf gebunden, trotz des Blutes. Die Sonne brannte, aber solange sie über das Wasser glitten, kühlte sie der Fahrtwind. Er hatte keine Ahnung, wohin er das Boot steuerte. Das Meer war ruhig, sie kamen gut voran. Einmal glaubte Tobey, den Rücken eines Delfins zu sehen, und sein Herz tat einen Sprung. Er musste an den Delfin in der Bucht von Dingle denken und versuchte sich an den Namen zu erinnern, den die Leute ihm gegeben hatten, aber es gelang ihm nicht. Briona Fanning fiel ihm ein, die Megan und ihm gesagt hatte, man komme nach seinem Tod als Tier zurück auf die Welt. Er erinnerte sich, wie wütend er geworden war und dass er die Frau eine Lügnerin genannt hatte, und wie Megan begeistert von der Ameise bis zum Zebra jede Kreatur aufgezählt hatte, in deren Gestalt sie ihr nächstes Leben verbringen wollte. Er glaubte noch immer nicht an Wiedergeburt, aber die Vorstellung, seine Schwester sei gerade vorbeigeschwommen und habeihm den Weg gewiesen, gefiel ihm und lenkte ihn eine Weile von dem Gedanken ab, dass das Benzin bald aufgebraucht sein würde.
    Als der Motor Minuten später ausging, wachte Montgomery auf. Er hob den Kopf ein wenig und blinzelte in die Helligkeit. Jetzt, wo sie standen, war die Hitze unerträglich. Es war still, nur das Geräusch des Wassers war zu hören, das sich am Bootsbauch rieb.
    »Wir sind ein ganzes Stück von der Insel weggekommen«, sagte Tobey. Dass der Bonobo ihn nicht verstand, war ihm egal. Er nahm sich vor, alle paar Minuten etwas zu sagen, um nicht einzuschlafen oder

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