Auf den Inseln des letzten Lichts
Karriere ebenfalls Kritik und Rückschläge einstecken mussten. U2 seien nicht immer so erfolgreich gewesen und, als sie noch Feedback und The Hype hießen, oft ausgepfiffen worden, sagte er. Sie saßen hinter der Metzgerei auf der Mauer, die den Platz umgab, wo am Schlachttag die Tiere angeliefert wurden. Es war Sonntag, die Wolken hatten sich verzogen, und ein schwaches Licht beschien die Hausdächer, den Asphalt und die krummen Rücken der beiden Jungen.
Eine Stunde lang redete Mick auf Barry ein, erläuterte ihm, wie wichtig der Bass sei, referierte über den legendären Sound, den zu finden sie alle geschworen hatten, und legte ausführlich dar, warum das Publikum in Murphy’s Tavern mit Ausnahme von Barrys Eltern keine Ahnung von guter Musik hatte. Barry, noch immer verblüfft, dass Mick zu ihm gekommen war, um ihn für die Band zurückzugewinnen, hörte sich alles an, nickte ab und zu oder murmelte etwas, aber erst ein Wort am Ende von Micks Rede, versteckt in einem Nebensatz und leise und flüchtig ausgesprochen, bewog ihn dazu, seinen Entschluss zu ändern und bei den Agents of Anger zu bleiben. Das Wort hieß Freundschaft.
In der Gegend gab es nicht viele Auftrittsmöglichkeiten, und für Cork, Limerick oder gar Dublin waren sie weder gut noch bekannt genug. Einmal beteiligten sie sich an einem Wettbewerb für Nachwuchsbands in Tipperary. Aidan, der inzwischen eine kleine Möbelfirma in Clonakilty betrieb, fuhr sie mit seinem Lieferwagen hin. Sie spielten drei eigene Songs, schafften es aber nicht in die zweite Runde. Danach gab sich jeder außer Jason die Schuld am Scheitern, und sie probten zwei Wochen lang nicht mehr. Mick zweifelte zum ersten Mal an seinen Fähigkeiten als Songschreiber und warf stapelweise Notenblätter ins Kaminfeuer. Barry legte den Bass in den Koffer und beendete seine Diät. Tobey verbrachte die Zeit in der Scheune, wo er an seinem Motorrad herumschraubte. Sie waren siebzehn und hörten von allen Seiten, es werde allmählich Zeit, sich ernsthafte Gedanken über die Zukunft zu machen. Micks Eltern hatten genaue Vorstellungen davon, wie ihr Sohn die kommenden Jahre verbringen würde, und er ließ sie glauben, er unterstütze ihre Pläne. Barry sollte eine Ausbildung in der Metzgerei machen und sie irgendwann übernehmen. An das Töten der Tiere und das Blut würde er sich schon gewöhnen, meinte sein Vater. Jason versicherte allen, er alleine bestimme, was in seinem Leben passiere, und ein Studium komme für ihn nicht in Frage. Tobey versuchte sich mit der Tatsache abzufinden, dass sein Vater den Hof nie modernisieren würde, und weil er weder vorhatte, mit ihm zusammen in den Ruin zu schlittern, noch zu warten, bis Seamus irgendwann zu alt zum Arbeiten war, stellte er sich darauf ein, Kerry bald zu verlassen, genau wie Jason. Die beiden hielt nichts mehr im verschwindenden Reich ihrer Kindheit. Es ging nur noch darum, die Zeit bis zur Volljährigkeit totzuschlagen und dann wegzuziehen, am liebsten nach Dublin. Jason konnte den Tag seines achtzehnten Geburtstages kaum erwarten, den Zeitpunkt des endgültigen Sieges über seine Mutter, und er wurde nicht müde, ihn heraufzubeschwören.
Nach außen hin gab Tobey vor, von derselben brennenden Ungeduld erfüllt zu sein wie Jason. Mit ihm berauschte er sich an den Farben seiner neuen Existenz und feierte zukunftsferne Taten. Aber heimlich hoffte er noch immer auf eine Art Wunder, eine Erleuchtung, die seinen Vater zur Vernunft bringen und ihn endlich erkennen lassen würde, dass er denHof seinem Sohn übergeben musste, wollte er nicht beides verlieren und wie Fearghal Walsh enden, der nicht einmal mehr mit den Kühen redete und winters oft in der Küche schlief, dem einzigen beheizten Raum des Hauses. Eine Zeitlang glaubte er, Megan wolle den Hof übernehmen, weil sie ihren Umzug nach England und den Beginn des Studiums hinauszögerte und sich auf einmal Dingen zuwendete, die sie früher nicht interessiert hatten: wie man den Heuwender an den Traktor ankuppelte, zum Beispiel, oder was ein Zentner Kartoffeln einbrachte.
Irgendwann sprach er sie darauf an. Er war eben erst verkatert aufgestanden und hatte nicht damit gerechnet, seine Schwester im Haus anzutreffen. Sie machte ihm Kaffee und er fragte sie, warum sie noch immer hier sei und nicht in London und Biologie studiere, warum sie plötzlich mit Seamus aufs Feld gehe und wissen wolle, ob das Korn faule. »Weil du es nicht mehr tust«, sagte Megan ruhig und leise, aber so
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