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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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überstreifte, sich in einen mit Samt ausgeschlagenen Sarg legte und den Tag verschlief.
    Die ersten fünf Wochen hatte er über einer Spielhalle in Ringsend gewohnt, in einem quadratischen Loch, mit einer vergitterten Öffnung in der Wand, durch die warme, nach verbranntem Brot riechende Luft blies. Er hatte einen Job in einem Centra -Supermarkt gefunden, zehn Tage nachdem er in Dublin angekommen war. Am Mittwoch, wenn er freihatte, half er in der Spielhalle aus, setzte sich hinter die Theke und bediente die Kasse oder ging herum und sammelte die leeren Flaschen und den Abfall ein. Martin, der Betreiber der Halle, züchtete Zebrafinken.Wenn wenig los war, brachte er einen Käfig aus seiner Wohnung im ersten Stock herunter und erklärte Tobey, worauf es bei der Pflege der Tiere zu achten galt. Sobald Kundschaft kam, meistens junge Burschen in Jogginganzügen und alte Männer mit den Taschen voller Kleingeld, und der quäkende Lärm der Maschinen ausbrach, trug Martin den Käfig zurück in die Wohnung, deren Wohnzimmerwände, wie Tobey bei einem kurzen Besuch gesehen hatte, mit Dschungeltapeten beklebt waren.
    Tobey richtete sich auf, schob den Vorhang ein Stück zur Seite und sah hinaus. Die Luft, ein feiner, wolkiger Nebel, bewegte sich vor dem Fenster. Weiter unten hockten Tauben auf Simsen, die Bäuche gelb gefärbt vom Neonschriftzug des Wettbüros. Tobey schlug die Decke zurück und setzte sich hin. Als Kind war er Frühaufsteher gewesen, jetzt kam er vor elf nicht aus dem Bett. Er schlug ein paar Akkorde auf der Fender an, übte eine Melodie, die ihm nicht aus dem Kopf ging. Seine Fingerspitzen füllten sich mit Wärme. Er mochte den Klang der Gitarre, wenn sie nicht an den Verstärker angeschlossen war, der, eingepackt in eine Wolldecke, im Übungskeller stand. Er versuchte, nicht an die Farm zu denken, nicht an seinen Vater, nicht an Megan. Eine Weile übte er die Grifffolgen eines Solos, das er seit Wochen nicht hinbekam, lallte einen einfältigen Text, der sich reimte, ohne einen Sinn zu ergeben. Schließlich zog er sich an und ging ins Badezimmer.
    Jason saß am Küchentisch. Er trug karierte lammfellgefütterte Pantoffeln, Wollsocken, einen roten Trainingsanzug und den dunkelblauen Wintermantel, den er aus dem Schrank seiner Mutter genommen hatte, bevor er in Richtung Dublin aufgebrochen war. Das Radio lief so leise, dass es vom dumpfen, aus der Straße hochsteigenden Lärm übertönt wurde. Jasons Kopf lag schräg in der linken Hand, die rechte hielt einen Bleistift, mit dem er in ein Heft kritzelte, schläfrig und ohne abzusetzen. Seine Lippen bewegten sich beim Schreiben, und gelegentlich holte er schnappend Luft, als habe er vergessen zu atmen.
    Das war das Leben, das er schon immer führen wollte. Das war die Küche, in der Jim Morrison aufgewärmte Nudeln aß, in der Johnny Rotten vor sich hin trällernd Geschirr spülte, in der Kurt Cobain dem Tee beim Ziehen zusah. Sein Zimmer war der Raum, in dem Songtexte auf den bröckelnden Verputz der Wände geschrieben waren, Sätze vollerleuchtender Kraft. Das war die Wohnung, wo er Musikgeschichte schrieb, langsam und schläfrig in ein zerfleddertes liniertes Heft, auf dem das Wort NICHTS stand.
    Jason war fünf Wochen nach Tobey in Dublin angekommen. Seine Mutter hatte ein Geburtstagsfest für ihn vorbereitet, in Murphy’s Tavern , dem Ort des ersten öffentlichen Scheiterns der Band, was ihre hilflose Art war, ihrem Sohn ein letztes Mal zu sagen, dass sie Musikmachen für keinen tauglichen Lebensentwurf hielt. Sie hatte alle seine Freunde, die sie kannte, eingeladen und ihnen das Versprechen abgenommen, Jason nichts zu verraten, weder von der Party noch von dem Ort, an dem sie stattfinden sollte. Außer Mick und Barry hielt sich keiner der Jungs an das Schweigegelübde, und am Tag des großen Ereignisses war Jason längst eingeweiht. Als Katherine Dwyer beim Bäcker die Torte abholte, auf der in dunkler Schokolade, einem bittersüßen Stoßseufzer gleich, ENDLICH 18! stand, suchte Jason die herumliegenden Geschenke zusammen und ging zur Bushaltestelle. Die Party hatte trotzdem stattgefunden, auch ohne ihn. Mick und Barry waren gekommen und ein paar der Jungs, die Katherine irrtümlich für Kumpels ihres Sohnes hielt und die sich nur blicken ließen, weil es umsonst Bier gab. Mick, der von Katherine schon vor Tagen den Auftrag erhalten hatte, Jason eine Stunde vor Beginn der Party auf dem Handy anzurufen und zu einem Bier in Murphy’s Tavern zu

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