Auf den Inseln des letzten Lichts
Vierzimmerwohnung war in einem erbärmlichen Zustand und eigentlich unvermietbar. In der Küche funktionierte weder der Ofen noch der Kühlschrank, im Bad lösten sich die Fliesen von den Wänden, und in den Zimmern lagen die Türen der Einbauschränke, zerlegte Möbel und Tapetenrollen auf dem Boden. Wie ein Bewohner,der nach einem Feuer sein zerstörtes Heim besichtigt, war Crotty vor jedem Raum in leises, murmelndes Wehklagen ausgebrochen, während Jason ihm unablässig versichert hatte, seine und Tobeys Ansprüche seien bescheiden und die Zimmer ohne großen Aufwand herzurichten. Nach langem Zureden hatte Crotty sich schließlich bereit erklärt, ihnen die Wohnung gegen einen lächerlich geringen Mietpreis zu überlassen.
Tobey tastete nach der Wasserflasche neben dem Bett. Die Arbeit von zwei Wochen steckte ihm noch in den Knochen. Er und Jason hatten die kaputten Möbel hinunter auf die Straße getragen, die Böden gereinigt, Wände gestrichen, Fliesen geklebt, Fenster repariert, den alten, defekten Kühlschrank durch einen intakten gebrauchten ersetzt und die Schranktüren eingehängt. Aus Brettern vom Baumarkt hatten sie Bettgestelle gezimmert und die billigsten Matratzen gekauft, die sie finden konnten. Tobeys Stuhl war vom Sperrmüll, Jasons Sofa aus einem Hotel, das renoviert wurde. Die Bettwäsche, etwas Geschirr und Besteck, Handtücher, einen Wasserkocher und einen Toaster hatten sie sich günstig bei Woolworth und Oxfam besorgt, auch ein paar Bücher.
Das Wasser war warm und schmeckte noch immer nach Rost. Das aufgebrachte Trällern der Alarmanlage verstummte, dafür drang die Sirene eines Löschfahrzeugs durch die Straßen, verzerrt und leiernd wie das Heulen eines verwundeten Trickfilmmonsters. Heute war Sonntag, fiel Tobey ein. Am Samstag hatte er auf der Grafton Street Gitarre gespielt und ein paar Euro verdient, gerade genug, um Milch und Bier, Eier und Brot zu kaufen und etwas für die Miete beiseitezulegen. Bis vor einer Woche hatte er in einer Hotelküche eine riesige Spülmaschine mit schmutzigem Geschirr und Besteck gefüllt. Davor war er als Sandwich verkleidet vor einer Filiale von Subway auf und ab gegangen und hatte vom Abend bis in die frühen Morgenstunden im Keller einer Kneipe leere Flaschen sortiert und den Schlauch an ein volles Bierfass angeschlossen, wenn der Barkeeper durch die Luke brüllte. Im Sommer hatte er einer Frau geholfen, in der Moore Street Obst und Gemüse zu verkaufen.
Tobey konnte hören, wie Daphney Maloney in der Küche unter ihm mit einem Topfdeckel klapperte, die Besteckschublade zuschob, Wasser ins Spülbecken laufen ließ oder die Kühlschranktür öffnete, in der Marmeladen- und Gurkengläser klirrten. Das rhythmische, von kurzenPausen unterbrochene Schlagen eines Schneebesens drang durch den Fußboden und das Geräusch eines Messers, mit dem auf einem Holzbrett Zwiebeln und Petersilie gehackt wurden. Manchmal glaubte Tobey, er könne das knirschende Mahlen der Pfeffermühle vernehmen, das dumpfe Blubbern siedenden Wassers, das Rollen der Walze auf dem Teig. Das Sammelsurium aus Tönen beruhigte ihn, vermittelte ihm das Gefühl, Zeuge einer heilen Welt zu sein, die auf wundersame Weise verschont geblieben war vom Irrsinn, der außerhalb dieser Hauswände herrschte.
Das Zimmer, in dem er bis vor zwei Tagen gewohnt hatte, war eine stille Kammer gewesen, eine verschlossene Kiste, in die kaum etwas drang, weder Luft noch Geräusche aus einer der anderen Wohnungen oder dem lichtlosen Innenhof. Manchmal hatte das Wasser in den Leitungen rumort oder der Wind im Küchenabzug gewispert, aber meistens war es totenstill geblieben. Unter ihm lebte eine Familie aus Indien, die ein Restaurant in der Gardiner Street betrieb und von der Tobey nur den Großvater gesehen hatte und ein kleines Mädchen, das bei gutem Wetter im Hof saß und zeichnete. Die Mieterin über ihm war eine junge Frau aus Polen, der er ab und zu im Treppenhaus begegnet war und die seinen Gruß nie erwidert hatte; ob aus Schüchternheit oder Abneigung, konnte Tobey nicht sagen. Sie hieß Jana Panufnik, jedenfalls stand das auf ihrem Klingelschild, und wenn sie in ihrer Wohnung war, tat sie nichts Hörbares, weder herumgehen noch Musik hören oder fernsehen. Sie schien immer in der Morgendämmerung nach Hause zu kommen, oft wenn Tobey zu einer Frühschicht aufbrach, und er stellte sich vor, wie sie in ihrer verdunkelten Wohnung die Kleider auszog, ein weißes, mit Spitzen verziertes Nachthemd
Weitere Kostenlose Bücher