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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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der Umgebung einzulassen. Vor ein paar Jahren hatte Declan Boyle, der damals zwei Klassen über Tobey gewesen war, damit angegeben, Megan O Flynns letzte Barrikade überwunden zu haben, worauf sie ihm mit einem Axtstiel ein Ohr blutig geschlagen und drei Finger der rechten Hand gebrochen hatte.
    »Ich muss langsam los.« Tobey sah die Atemwolke im Licht, das von der Straßenlampe über die Mauer fiel und sich im Hof verlor. Er wischte die Hände an der Hose ab und stand auf. Die Kälte hatte sich unter der Haut festgesetzt, er schüttelte die Beine. »Wir sehen uns in Dublin.« Barry erhob sich ebenfalls. »Vielleicht.« Er senkte für ein paar Sekunden den Blick. Dann sah er Tobey an und nickte. »Ja. Wir sehen uns.«
    Nachdem sie einander unbeholfen umarmt hatten, ging Tobey zu seinem Motorrad und fuhr davon. Eine Weile blieb Barry auf der Straße stehen und sah ihm nach. Als das Knattern der BSA endgültig verklungen war, konnte er die Stimme seines Vaters hören und Musik, die aus dem offenen Küchenfenster drang. Im Garten hinter dem Haus rief Antonia den Hund zu sich, den die Familie Tage zuvor nach endlosen Diskussionen und gegen das Veto des Großvaters angeschafft hatte. Kieron Spillane vertrat die Ansicht, Hunde, die weder einen Hof noch eine Schafherde bewachten, seien nutzlose Schmarotzer und gehörten nicht ins Haus, und dass er überstimmt worden war, quittierte er mit Nichtbeachtung des Welpen, der ausgerechnet an ihm einen Narren gefressen zu haben schien.
    Der Wind frischte auf, und Barry zog sich die Kapuze über den Kopf. Vor ein paar Wochen hatte er am Anschlagbrett im Supermarkt einen Zettel gesehen, auf dem jemand eine Norton Commando anbot. Er hattedie Fotografie lange betrachtet und sich vorgestellt, die Maschine zu kaufen und mit Tobey durch die Gegend zu fahren, aber dann verlor er den Papierschnipsel mit der Telefonnummer, und als er Tage später vor dem Anschlagbrett stand, war der Zettel weg.
    Ein alter gelber Toyota fuhr ohne Licht an ihm vorbei. Die Fahrerin, eine treue Kundin der Metzgerei, winkte Barry zu, und er winkte zurück. Noch jemand, der ihn für den Rest seines Lebens in einer Plastikschürze hinter der Verkaufstheke stehen sah, dachte er. Eine Weile blieb er noch in der kalten Abendluft, dann ging er durch die Hintertür ins Haus und in sein Zimmer, legte sich auf das Bett und malte sich aus, wie Megan auf die Nachricht, er sei Vegetarier geworden, reagieren würde. Er schloss die Augen und lauschte ihrem Summen, wie damals auf dem Schulhof.
     
    Tobey stellte das Motorrad vor die Scheune und sah zum Haus. Es war kurz nach neun, und weder in der Küche noch im Zimmer seines Vaters brannte Licht. Seamus O Flynn ging früh zu Bett, und oft hörte man ihn lange vor Mitternacht in seinen traurigen Träumen jammern und ächzen. Ob Megan da war, konnte Tobey nicht sehen, ihr Zimmer ging nach hinten hinaus. Er nahm den Helm ab und sog die Luft ein, die feucht war vom bevorstehenden Regen und nach Erde roch. Eine Weile stand er an der offenen Stalltür und horchte auf die Geräusche. Die Kühe bewegten sich in der Dunkelheit, Sam scharrte mit den Hufen, die Schweine grunzten im Schlaf.
    In der Küche trank er ein Glas Milch und schaltete das Radio ein. Auf dem Tisch standen ein schmutziger Teller und eine leere Teetasse. Seamus ließ alles stehen und liegen, weil er wusste, dass Megan sich darum kümmerte. Anders als Tobey, der seit Jahren nicht mehr im Zimmer seines Vaters gewesen war, holte Megan jede zweite Woche einen Korb voller schmutziger Kleidung und Laken aus der düsteren, bis auf ein schmales Bett und einen Schrank leeren Kammer, in der es nach Schweiß und Vieh und Verbitterung roch. Bei gutem Wetter hing die Wäsche an den Leinen hinter dem Haus, und Tobey erinnerte sich an die Hemden und Hosen seines Vaters, die sich im Wind bewegten, als würden sie tanzen vor Erleichterung darüber, für eine Weile von diesem bleiernen Körper befreit zu sein.
    Nach dem letzten Schluck Milch schaltete er das Radio aus, nahm eine Rolle Müllbeutel aus einem Schrank und ging nach oben in sein Zimmer. Dort zog er alle Schubladen der Kommode auf und stopfte zwei Paar Hosen, zwei Hemden, einen Pullover, T-Shirts, Unterwäsche und Socken in einen Müllbeutel, den er mit Schnur zusammenband. Er legte die Gitarre in die Kunstlederhülle, packte CDs, Notenhefte, Bücher und Kleinkram in die Schubladen und den Schrank und schob ein Paar Stiefel und einen Stapel Musikmagazine unter das

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