Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
halbwegs akzeptablen Band, sondern auch ein wichtiger Teil seiner Vergangenheit. Der Regen, der seit Stunden seinen Kopf besetzte, schlug endlich auf das Dach der Bahnhofshalle. Als Mick sich ein letztes Mal umdrehte, bevor er den Zug bestieg, winkte Tobey. Vielleicht war das der Moment, wo etwas scheinbar Bedeutendes zu Ende ging, dachte er, wo man erkannte, dass der Versuch, ein Stück Kindheit ins Erwachsenenleben hinüberzuretten, idiotisch und zum Scheitern verurteilt war. Er blieb stehen, bis der Zug die Halle verlassen hatte, und ging dann zu Jason, der mit einer Büchse Bier auf einer Bank saß und in sein Heft schrieb.
     
    Es schien nichts zu geben, was Jason aus der Bahn warf, auch nicht die Tatsache, dass Mick der Band wohl bald den Rücken kehren würde, falls er es nicht bereits getan hatte, als er zurück nach Cork gefahren war, um in lichtdurchfluteten Klassenräumen zu sitzen statt in einem finsteren Keller; um mit Lehrern und Wohlstandskindern zusammen zu sein statt mit seinen Freunden. Ihm gefielen Micks Totenreden auf den Punk und die Hymnen auf Jazz und Fusion nicht, und auch wenn er auf dem Schlagzeug alles spielen konnte, wozu man ihn aufforderte, fand er Micks letzte Kompositionen zu kompliziert und abgehoben, und er bezweifelte, dass irgendjemand in Dublin diese Art Musik hören wollte,abgesehen vielleicht von ein paar Brokern und Touristen, arroganten Weißweinschlürfern ohne Sinn für das Echte, Lebendige, Unzumutbare. Ständig schleppte er neue Kandidaten in den Übungskeller, immer neue Möchtegerngitarrenhelden, die ständig zu besoffen oder bekifft waren, um einen Ton zu treffen, und nur wiederkommen durften, weil sie Drogen mitbrachten: Gras, Speed, manchmal ein wenig gestrecktes Kokain. Jede Woche stellte er eine neue Band zusammen und gab ihnen Namen, die er am nächsten Tag vergessen hatte oder änderte. Einmal schaffte er es, einen Auftritt bei einem Open-Air-Festival zu ergattern, deren Organisatoren sich keine großen Namen leisten konnten. In der schlaflosen Nacht vor dem Gig, der auf einem Feld in Saggart außerhalb Dublins stattfinden sollte, hatte er die Idee, die Band, die gerade Judge Jason and the Guilty Victims hieß, als Richter und Sträflinge auftreten zu lassen. Obwohl Tobey und der zweite Gitarrist, Owen Kane, ein Student der Politikwissenschaften mit einer Schwäche für Amphetamine, gegen Verkleidungen waren, standen sie am nächsten Abend in schwarzweiß gestreiften Hosen und Leibchen auf der Bühne, während Jason, angetan mit weißer Perücke und schwarzer Robe, hinter seinem Schlagzeug saß und jeden Song wie ein Gerichtsurteil verkündete. Die Festivalbesucher, zumindest jene, die etwas für Punk und schräge Kostüme übrighatten oder einfach nur betrunken waren, ließen sich rasch begeistern. Einige tanzten, und zwischen den Nummern wurde gejohlt, geklatscht und gepfiffen, worauf Jason sich immer erhob, mit den Stöcken gegen den Mikrofonständer schlug und damit drohte, das Gelände räumen zu lassen. Tobey verhedderte sich bei fast jedem Gitarrensolo und trat vor Wut und Scham die aufblasbaren mannsgroßen Flaschenattrappen des Sponsors um, aber die Leute schienen das ebenso als Bestandteil der Show zu betrachten wie Dermots Luftsprünge.
    Hätte nicht ein Kabelbrand zu einem Stromzusammenbruch geführt, der die Veranstaltung fünf Stunden zu früh beendete, wäre der Septemberabend in die Musikgeschichte eingegangen, und hätte der Reporter des Szeneblattes Totally Dublin weniger über das unrühmliche Ende des Festivals und mehr über die im Dunkeln stehende, den Pfiffen des Publikums ausgesetzte Band geschrieben, wären Judge Jason and the Guilty Victims berühmt geworden. Sie hätten plötzlich Auftrittsangeboteerhalten, erst auf der Insel, dann in England und auf dem Kontinent, hätten sich Eisenkugeln mit Fußketten besorgt und als Gefängniswärterinnen verkleidete Backgroundsängerinnen auf die Bühne geholt. Sie hätten Mick und der Welt bewiesen, dass Punk nicht tot war. So jedenfalls sah es Jason, der nach dem Fiasko tagelang verschwunden blieb, um dann wie aus dem Nichts wieder aufzutauchen, mit einem kleinen herrenlosen Kater im Arm und neuen Songs im Heft, die bitterer und schwärzer waren als alles, was er bisher geschrieben hatte.
    Einen Monat darauf zog Tobey einen Auftritt an Land. Er hatte eine Frau kennengelernt, die denselben Kurs in Literarischem Schreiben besuchte wie er und deren Bruder Geschäftsführer eines Clubs in Temple Bar

Weitere Kostenlose Bücher