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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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zusammen gewesen, aber ständig mit gebrochenem Herzen herumgelaufen war, bediente sich beim Texten der Sehnsüchte und Qualen, die seine Jugend ausgemacht hatten. Diese Gefühle abzurufen und in Sprache zu verpacken, fiel ihm so leicht wie das Aneinandersetzen von Tönen und das Mischen von Klängen und Stimmen. Beim Texten wurde er zum Hochstapler, zum Matrosen, der von Stürmen und Inseln und Walen schwadronierte, ohne jemals das Meer gesehen zu haben.
    Wenn ein Stück fertig war, summte Tobey die Melodie, begleitete sich auf der Gitarre dazu und nahm es auf. Die CD schickte er nach Cork, wo Mick, begleitet vom verhohlenen Stolz seiner Mutter und der fürsorglichen Skepsis seines Vaters, an einer privaten Musikschule Klavier und Komposition studierte. In seiner üppig bemessenen Freizeit schrieb Mick nicht nur die Texte zu Tobeys Liedern, sondern auch die Basspartituren für Dermot. Das Studium dauerte zwei Jahre und war ein Kompromiss, auf den sich Mick mit seinen Eltern geeinigt hatte. Obwohl ihr Sohn ihnen schon früh signalisiert hatte, dass Musik sein Lebensinhalt war, hatten sie für ihn den Beruf des Apothekers vorgesehen. Das Pianospielenbetrachteten sie als Hobby, die Zeit mit der Band als Phase, aus der Michael herauswachsen würde, wie andere Jungen aus der Begeisterung für frisierte Mofas oder Horrorfilme herauswuchsen. Indem sie ihm die Schule finanzierten, gingen sie zwar das Risiko ein, ihren Sohn ganz an die brotlose Kunst des Musizierens zu verlieren, hielten sich aber insgeheim an der Gewissheit fest, er werde seinen jugendlichen Überschwang irgendwann ablegen, zur Vernunft kommen und den von ihnen vorgegebenen Weg beschreiten, verspätet zwar, aber umso einsichtiger und reumütiger. Gönnerhaft begleiteten sie sein erstes Semester, saßen beim Weihnachtskonzert in der ersten Reihe und beklatschten voll aufrichtiger Liebe ihren unüberhörbar begabten Sohn und versicherten sich danach gegenseitig, wie verschwindend gering die Chance sei, dass ausgerechnet Michael zu den drei, vier gehören sollte, die unter zweihundertfünfzig Abgängern später einmal von ihrer Leidenschaft würden leben können.
     
    In Tobeys und Jasons erstem Sommer in Dublin besuchte Mick sie. Er war dünner geworden und größer, aber vielleicht kam es Tobey auch nur so vor, weil Mick ganz in Schwarz gekleidet war, die Haare kurz trug und einfach erwachsener wirkte. Er hatte eine Reisetasche dabei und sein portables Keyboard, und als er in der Heuston Station aus dem Zug stieg, winkte er mit dem DEAD END-Schild, das er dem ausgestopften Otter abgenommen hatte. Sie landeten in der erstbesten Kneipe, wo sie bis spätnachts sitzen blieben, Whisky Cola tranken und redeten, atemlos und erregt wie vor Jahren in Jasons Zimmer. Mick erzählte von seinem Studium, von neuen musikalischen Sphären, in die er vordrang, und von den weltbewegenden Ereignissen in Killorglin. Tobey und Jason priesen ihr aufregendes neues Leben in Dublin, ohne die miesen Jobs, die winters nur schwer heizbaren Zimmer oder die zahllosen Bands, die in der Stadt um Auftrittsmöglichkeiten kämpften, zu erwähnen. Sie zeigten Mick Fotos des Übungskellers und der Band, die inzwischen nicht mehr Post no Bills , sondern Ministry of Fraud hieß.
    Die erste Nacht verbrachte Mick auf einer Luftmatratze neben Tobeys Bett. Tobey wohnte damals noch in seiner stillen Kammer zwischen der indischen Familie und der polnischen Vampirin, und Jason bei einer Kellnerin,die er in einer Kneipe in Temple Bar kennengelernt hatte. Für den Rest seines dreiwöchigen Aufenthalts mietete Mick ein Zimmer in einem Wohnhaus des Trinity College. Er hatte ein paar neue Songs geschrieben, hörte sich Jasons Sachen an und dozierte über den Tod des Punk und die Unsterblichkeit des Jazz, den er gerade zu entdecken begann. Im Übungskeller wies er Dermot geduldig auf Fehler hin und sah weg, wenn der schwitzende Koloss einen Sprung vollführte, der lachhaft war und dennoch Höhepunkt einer lausigen Probe. Weil sie sich auch nach einer Woche auf keinen Stil einigen konnten, verlor Mick das Interesse und verbrachte seine Tage in Museen und Galerien und mit Ausflügen.
    Als Mick abreiste, versprach er, im Herbst wiederzukommen, aber sie wussten alle drei, dass das nicht passieren würde. Während Mick zum Bahnsteig ging, sah Tobey ihm nach und fühlte sich auf einmal unendlich müde und leer. Es war ihm, als verschwinde in diesem Augenblick nicht nur die vage Aussicht auf eine Zukunft in einer

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