Auf den Inseln des letzten Lichts
Sinnkrise stürzen ließ.
Barry war der neue Bassist der Loyal Treaters . Dermot hatte vergeblich versucht, Helen zurückzugewinnen, indem er ihr das Auto, das er nie benutzte, vor die Tür stellte und versprach, mit der Musik aufzuhören und sich einen richtigen Beruf zu suchen. Er hatte sich von Tobey und Mick Geld geliehen, einen Anzug gekauft und Helen in ein nobles Restaurant in der Fleet Street eingeladen, aber sie fiel kein zweites Mal auf ihn herein. Sie verkaufte das Auto und beglich mit dem mickrigen Erlös einen Teil der Anwaltskosten. Als Dermot die Scheidungspapiere erhielt, trank er noch mehr und fing an, Pillen zu schlucken. Er kam zu spät zu den Proben oder überhaupt nicht. Einmal stand er zwar pünktlich im Übungskeller, hatte aber seinen Bass vergessen. Zuerst vertrat Barry ihn nur, aber allen war klar, dass Dermot seinen Platz in der Band verlieren würde. Einen Monat nach Barrys Ankunft in Dublin verschlief Dermot einen Auftritt und ging nicht mehr ans Telefon. Mick und Tobey fuhren zu seiner Wohnung, wo ihnen ein Nachbar sagte, Dermot sei schon vor Wochen ausgezogen. Tobey gab noch einmal eine Vermisstenanzeigebei der Polizei auf, und wieder wurde Dermot Paul MacAllister in einem Krankenhaus gefunden. Er hatte Schlaf- und Schmerztabletten geschluckt und nur überlebt, weil er im Christlichen Männerheim mit einer brennenden Zigarette im Mund eingeschlafen war. Die Kippe hatte seine Matratze in Brand gesetzt und den Feueralarm ausgelöst. Er lächelte nicht mehr, als seine Freunde das Zimmer betraten, und er redete kein Wort. Er schien die Besucher nicht zu erkennen, starrte durch sie hindurch, die Augen verquollen, das Gesicht aufgedunsen. Tobey hatte ihm die neue Ausgabe des Rolling Stone mitgebracht und nahm sie genauso wieder mit wie Mick die Schachtel Pralinen.
Sie probten zwei neue Songs, einen von Mick und einen von Jason. Bei einer elegischen Ballade spielte Barry Akkordeon statt Bass, und alle vier strahlten. Sie dachten an die alten Zeiten und kramten Episoden hervor, euphorisch und wehmütig wie Veteranen einer gewonnenen Schlacht. Ganze Sommer holten sie ans Schummerlicht des Kellers, überlebensgroße Szenen und flüchtige Bilder, ferne, verschwindende Töne, unausgegorene Gefühle. Sie warfen sich Sätze zu wie damals den Rugbyball, lachten und verstummten und schüttelten beim Anblick ihrer eigenen Geschichte ungläubig den Kopf. Dermot sahen sie erst, als er im Raum stand. Er war dünner geworden, in seinem verwaschenen grünen Parka wirkte er sogar mager. Die nassen Haare klebten ihm am Schädel, seine bleiche, frisch rasierte Gesichtshaut glänzte. Die Tür fiel hinter ihm zu, er blinzelte. Die Verstärker brummten, elektrische Bienenstöcke, hinter den Mauern rauschte das Regenwasser in den Röhren. Dermot hielt etwas Schwarzes in seiner rechten Hand und hob es mit einer langsamen, fließenden Bewegung an die Schläfe. Der Knall der Waffe explodierte zwischen den Wänden, drang durch das Styropor und traf auf Stein, schlug als Druckwelle zurück, detonierte ein zweites Mal in den Köpfen der vier Jungen und ließ zitternde, nach Schwefel und etwas Süßem, Schwerem riechende Luft zurück und Stille.
Dritter Teil
REGEN
1
In der Morgendämmerung kroch sie aus dem Schlafsack und ging ans Wasser. Aus dem Inneren der Insel riefen die ersten Vögel, vereinzelt, schläfrig. Das Meer schwappte träge und fast lautlos um ihre Füße. Kühle Luft legte sich auf ihren Körper. Der Gedanke, verlassen zu sein, streifte sie mit wacher Heftigkeit, und sie schüttelte sich. Sie spürte, wie Sand um ihre Knöchel floss, wie sie darin versank. Beim Einschlafen hatte sie ein Lied im Kopf gehabt, jetzt nahm sie die Melodie wieder auf, trällerte im Rhythmus der Wellen, die nicht höher als ein Katzenbuckel waren und sich ein paar Schritte vor ihr brachen; ein knisterndes Plätschern, Papier, das zerknüllt wird, ein Blatt nach dem andern, leise, bedächtig. Das Sonnenlicht war von einem blassen Gelb, das langsam nach oben stieg wie Flüssigkeit an Stoff. Megan ging in die Hocke und wusch sich das Gesicht.
Als sie sich Minuten später mit ihrem Gepäck am Rücken auf den Weg machte, breitete sich blendende Helligkeit über dem Strand aus und legte sich auf die Wasseroberfläche und die Blätter der Palmen, die wie aus Papier geschnitten in den Himmel ragten und noch von keiner Brise bewegt wurden. Die Vögel hatten sich gegenseitig geweckt und ihrer Anwesenheit versichert
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