Auf den Inseln des letzten Lichts
Montgomery.«
»Hallo, Montgomery. Ich heiße Megan.«
Montgomery nahm die Mütze ab, und Megan lächelte. Dann erhob sie sich, und Montgomery setzte die Mütze wieder auf.
»Megan O Flynn.«
Der Mann trat näher. »Tanvir Raihan.«
Sie schüttelten sich die Hand. Hätte Megan keine Turnschuhe mit dicken Sohlen und Tanvir nicht nur Sandalen getragen, wären sie beide gleich groß gewesen.
»Ich bin heute angekommen.«
»Jay Jay erzählte etwas, ja. Darf ich fragen, was der Grund Ihres Besuchs ist?«
»Ich würde gerne hier arbeiten«, sagte Megan. »Ich bin Tierärztin.« Mit der linken Hand hielt sie noch immer Montgomerys Zeigefinger fest. Der Bonobo hatte sich neben sie gesetzt und betrachtete versunken ihre Hand.
»Hat IPREC Sie geholt?«
»Oh, nein. Ich bin aus eigener Initiative hier. Ich weiß nicht einmal, ob die Station eine Veterinärin braucht.«
»IPREC stellt schon seit einem Jahr niemanden mehr ein.« Tanvir hob wie entschuldigend die Hände. »Das heißt natürlich nicht, dass Sie den Job nicht bekommen.«
»Brauchen Sie denn eine Tierärztin?«
»Haben Sie mit Torben Raske gesprochen?«
»Nur kurz. Eigentlich hätte ich mit ihm zu Abend essen sollen, aber ich bin eingeschlafen. Und ich habe vergessen, wann und wo wir verabredet sind.«
Tanvir sah in den Himmel. »Es ist jetzt etwa Viertel nach acht. Bestimmt hat Torben Sie zu sich eingeladen. Soll ich Sie hinbringen?«
»Wenn das keine Umstände macht.«
»Nicht im Geringsten.« Tanvir deutete mit dem Arm in eine Richtung. »Hier entlang«, sagte er und marschierte los.
Montgomery und Megan folgten ihm, Hand in Hand wie ein Liebespaar. Megan warf einen Blick auf ihre Uhr und war nicht überrascht, als diese zwanzig Minuten nach acht zeigte.
Torben Raske wohnte in einem von Palmen umstandenen, verputzten und weißgestrichenen Steinhaus mit Flachdach und tief in den Mauern liegenden Fenstern. Ging man durch das Gras der leicht ansteigenden Ebene darauf zu, hörte man links das leise Rauschen der Meeresbrandung, während rechts die dunkle Stille eines kleinen Waldes strahlte.
Tanvir hatte Megan bis zu dem Punkt geführt, an dem der Naturpfad in einen mit Randsteinen und grobem Kies befestigten Weg überging, und war mit Montgomery zurückgegangen. Bei der Verabschiedung hatte der Bonobo wieder seine Mütze abgenommen, bevor er Megan die Hand schüttelte. Montgomery, erklärte Tanvir, lege viel Wert auf gute Umgangsformen.
Raske hatte mit dem Essen gewartet. Sie seien für sieben Uhr verabredet gewesen, aber die Verspätung sei nicht der Rede wert. Rosalinda habe etwas gekocht, das er nur noch im Ofen wärmen müsse. Er hatte ihr das Haus gezeigt, auch das Schlafzimmer, und ihr die Namen der Fotografen genannt, deren großformatige Bilder die Wände sämtlicher Räume beherrschten. Er erzählte, er habe Kriegsreporter werden wollen und dass seine Eltern andere Pläne mit ihm gehabt hätten, ehrgeizigere, vorzeigbarere. Seiner Mutter zuliebe habe er in Trondheim Wirtschaft studiert und seinem Vater zum Trotz nach dem Abschluss eine dreijährige Weltreise unternommen. Während der Gemüseauflauf im Ofen heiß wurde, hörte Megan sich Geschichten von ungezieferverseuchten Hotels in Managua und korrupten Polizisten in Mexico City an, von einem Busunglück in Griechenland und einer Schule gestrandeter Grindwale auf den Lofoten. Raske sagte, er habe kistenweise Schwarzweißfotos von diesen Reisen, aber er wolle Megan nicht den Appetit verderben. Dann zeigte er ihr ein Foto, von dem er behauptete, es sei das einzige mit schönem Motiv, das er in seinem Leben gemacht habe. Das Bild zeigte einen Elch, der ertrunken am Grund eines gefrorenen Sees in Alaska lag. Die Eisschicht und das Wasser darunter waren so klar, dass das Tier aussah wie in Formaldehyd gegossen. Megan sagte, sie finde das Bild wunderschön, aber Raske glaubte ihr nicht, obwohl es die Wahrheit war.
Jetzt saßen sie in gepolsterten Rattansesseln im Innenhof, einem von drei Mauern und einer Hauswand eingefassten und von Laternenlicht erfüllten Quadrat. Norwegischer Jazz kühlte die Luft: Klavier, Trompete, Bass, Schlagzeug. Ein Gecko klebte an einer Wand, eine rote Schnur wurde aus der Nähe zu einer Ameisenstraße.
»Jammerschade, dass Sie erst jetzt kommen«, sagte Raske, als sie warmes Bananenbrot aßen und dazu Kaffee tranken, der nach Zimt und Schokolade schmeckte. »Vor ein paar Jahren haben wir Leute wie Sie gesucht.«
»Vor ein paar Jahren hatte ich eine
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