Auf den Inseln des letzten Lichts
Geräusch, aber kaum hatte sie ihn ausgeschaltet, war die Hitze unter dem Moskitonetz unerträglich geworden. Am frühen Morgen hatte sie sich mit den Laken auf den dünnen Teppich vor dem Bett gelegt und war irgendwann weggedämmert.
Jetzt saß sie alleine an dem langen Tisch in der Küchenbaracke, vor sich eine Tasse Milchkaffee und einen Teller mit Rührei und Tomaten. Es war fast neun Uhr, aber außer Rosalinda hatte Megan noch niemanden gesehen. Rosalinda hatte ihr in holprigem Englisch erklärt, dass hier alle lange schliefen und nur selten vor zehn Uhr zum Frühstück kamen, manchmal sogar erst um zwölf oder eins. Auf Megans Frage, wo Raske sei, antwortete Rosalinda, er fahre jeden zweiten Tag mit dem Boot weg und kehre erst am späten Abend zurück. Wohin Raske fuhr, wusste sie nicht oder wollte es nicht sagen.
Nachdem Megan sich eine zweite Tasse Kaffee aus der Küche geholt und zurück an den Tisch gesetzt hatte, kam Carla herein. Sie trug eine weite, sandfarbene Hose, ein schwarzes T-Shirt und an den Füßen weiße Segeltuchslipper. Sie setzte sich Megan gegenüber hin, nahm die Sonnenbrille ab und lächelte. »Morgen«, sagte sie. Ihr Haar war noch feucht vom Duschen und straff nach hinten gekämmt. Auf dem Rücken ihrer großen, langen Nase schälte sich die Haut.
»Morgen.« Megan erwiderte das Lächeln flüchtig.
Rosalinda tauchte hinter dem Holzperlenvorhang auf und ging gleich wieder zurück an den Herd.
»Sie sind früh auf.« Carla stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, legte den Kopf in die Hände und sah Megan an.
»Ich konnte nicht mehr schlafen.«
Carla nickte, als kenne sie das Problem. Sie blies die Backen auf und trommelte mit den Fingern gegen die gespannte Haut. Als Rosalinda ihren Kaffee brachte, schaufelte sie vier Löffel Zucker in die Tasse und begann umzurühren. »Ich mache kaum was anderes als zu schlafen.« Sie gähnte. »Das hier«, sagte sie, sah nach unten und verzog den Mund, »hält eine Weile wach. Drei, vier Stunden.« Jetzt rührte sie gegen den Uhrzeigersinn. »Mehr nicht.« Noch einmal erhöhte sie die Rotationsgeschwindigkeit, dann nahm sie den Löffel endlich aus der Tasse, leckte ihn ab und legte ihn auf den Tisch. »Bleiben Sie?«
Megan sah zu, wie die Flüssigkeit sich immer langsamer drehte und schließlich zum Stillstand kam. »Sieht so aus«, sagte sie.
Carla nickte bedächtig, umfasste die Tasse mit beiden Händen, hob sie hoch, blies mehrmals hinein und nahm vorsichtig schlürfend den ersten Schluck. »Gut«, sagte sie dann, offenlassend, ob sie den Kaffee meinte oder Megans Entscheidung.
Rosalinda brachte Carlas Frühstück, einen Teller, auf dem sich Bratkartoffeln, Spiegeleier, Würstchen und Speck häuften, dazu Brot. Carla seufzte, streute Salz über alles und begann zu essen. Zwischen zwei Bissen sah sie Megan an. »Ich hoffe, das stört Sie nicht.«
»Was?«
»Das Fleisch.«
»Keine Sorge.«
»Na ja, als Vegetarierin.«
»Früher hätte ich Sie verurteilt. Jetzt nicht mehr.«
»Warum nicht?«
»Mit der Zeit wird man besonnener. Milder.«
»Zur Hölle mit Besonnenheit und Milde.«
Megan wusste nicht, ob sie lachen sollte. »Müder wird man auch.«
»Zur Hölle mit der Müdigkeit«, murmelte Carla.
Die Tür ging auf, und Malpass kam herein. Mit der Baseballkappe, dem zerknitterten Polohemd, den ausgefransten kurzen Hosen und den Sandalen sah er aus wie ein vom Kreuzfahrtschiff gefallener und auf der Insel gestrandeter Tourist. Er nahm die Kappe ab, nuschelte eine Begrüßung und verschwand in der Küche.
»Wissen Sie, wo ich Chester und Wesley finde?« Megan hatte aufgegessen und den letzten Schluck Kaffee getrunken.
Carla sah Megan mit leerem Blick an, kauend. Dann schluckte sie und fragte: »Wollen Sie etwa jetzt schon anfangen zu arbeiten?«
»Ich soll mir Wesleys Fuß ansehen.«
»Ach.« Carla blähte die Backen und presste Luft durch die gespitzten Lippen. »Auftrag von Thor?«
»Von wem?«
»Nordischer Gott. Vier senkrecht.« Carla wischte das Fett und Eigelb in ihrem Teller mit einem Stück Brot auf. »Raske. Wir nennen ihn Thor.« Sie schob sich das Brot in den Mund.
»Ja«, sagte Megan, »er meinte, ich soll nach den beiden sehen.«
»Ich bringe Sie hin.«
»Danke.« Megan erhob sich.
»Nicht so eilig.« Carla bedeutete Megan, sich wieder hinzusetzen, schlug mit dem Löffel ein paar Mal gegen die Tasse und rief. »Hey, Malpass! Wenn du für eine Minute deine Pfoten von der Köchin nehmen würdest, könnte sie mir
Weitere Kostenlose Bücher