Auf den Inseln des letzten Lichts
Praxis in Yorkshire.«
»Schwer vorzustellen.« Raske lächelte. »Wie sind Sie auf die Philippinen geraten?«
»Auf einem Umweg über Borneo.«
»Sie haben mit Orang-Utans gearbeitet?«
Megan nickte. »Ich war veterinärmedizinische Leiterin der Auswilderungsstation.«
Raske sah Megan in die Augen, und als sie seinem Blick nicht auswich, lehnte er sich zurück und streckte die Beine aus. »Warum sind Sie weg?«
»Persönliche Gründe.«
Raske hob die Hände wie jemand, der sich ergibt. »Keine weiteren Fragen.« Er grinste.
Eine Weile hörten sie der Musik zu, die ihren Weg vom Wohnzimmer ins Freie fand, ein klarer, träger Fluss.
»Warum ist die Station so …« Megan suchte nach dem richtigen Wort.
»Heruntergekommen?«, sagte Raske. »Schäbig? Verlottert?«
Megan nickte.
»Eine lange Geschichte.« Raske bot Megan noch mehr Bananenbrot an, aber sie lehnte ab. »Die natürlich auf eines hinausläuft: Wir haben zu wenig Geld.«
»Und wie finanzieren Sie das alles hier?«
»Na ja, wir bekommen noch jedes Jahr eine großzügige Summe von einer Stiftung. Aber davon bezahlen wir die Gehälter der Mitarbeiter, den Unterhalt der Station, Essen, Diesel. Wir bezahlen die lokalen Behörden, vielmehr, wir schmieren sie, damit sie uns in Ruhe lassen und wir unsere Arbeit machen können. Das alles kostet eine Menge Geld. Für größere Reparaturen fehlen uns derzeit einfach die Mittel.«
Megan trank den letzten Schluck Kaffee. »Mit wie vielen Primaten arbeiten Sie in Ihrem Programm?«
»Programm.« Raske lachte auf. »Von den ursprünglich zwanzig Versuchstieren sind noch vier übriggeblieben.«
»Ich habe vorhin Montgomery kennengelernt.«
»Ach ja? Auch seinen Betreuer? Tanvir Raihan?«
»Ja. Er hat mich hierher begleitet.«
Raske, der seinen Kaffee längst getrunken hatte, zog eine Flasche Bier aus dem mit Eiswasser gefüllten Kübel, der neben seinem Sessel stand. »Und, hat er Ihnen irgendwelche Geschichten erzählt?« Er öffnete die Flasche und füllte beide Gläser auf dem Tisch.
»Geschichten? Nein. Er hat nicht viel gesprochen. Das Gehen hat ihn ziemlich angestrengt, glaube ich.«
»Tanvir ist nicht mehr der Jüngste.« Raske machte ein Gesicht, als bekümmere ihn diese Feststellung. »Und er ist, wie soll ich sagen, ein etwas sonderbarer Mensch, ein Einzelgänger. Er isst nicht mit uns, er bleibt den meisten Sitzungen fern, er tut, was er will. Und er hat jedem hier eine andere abenteuerliche Geschichte darüber erzählt, wo er herkommt und was er früher gemacht hat.« Er griff nach seinem Glas und trank es zur Hälfte leer. »Ein undurchsichtiger Charakter. Sie sollten sich von ihm fernhalten.« Er stellte das Glas zurück und lächelte.
Megan sah ins Licht einer Laterne, die aus Metall und gelbem Glas war und auf einem Korallenbrocken von der Größe eines Kühlschranks stand. Gelbes Licht zog weniger Insekten an, hatte Raske ihr vor dem Essen erklärt, und tatsächlich waren kaum Falter oder Motten im Innenhof. Sie lächelte zurück, gerade genug, um Raske merken zu lassen, dass sie ihn gehört hatte, und gleichzeitig so flüchtig, dass er sehen konnte, wie wenig sie von solchen Ratschlägen hielt. »Vier Primaten, sagten Sie?«
»Richtig. Neben Montgomery und Nelson gibt es noch einen alten Schimpansen namens Chester und Wesley, einen fünfjährigen Bonobo.« Raske erhob sich. »Entschuldigen Sie mich eine Sekunde.« Er ging ins Haus, um eine neue CD einzulegen. Als er zurückkam, trug er eine Metallkiste in den Händen. Er setzte sich, legte die Kiste auf den Tisch und öffnete sie. »Wollen Sie ein Geheimnis über mich erfahren?«
»Ein dunkles?«
»Das zu beurteilen überlasse ich Ihnen.«
Auf einmal wusste Megan, was genau an Raskes Äußerem sie nicht mochte. Es war die von Makeln wie Falten, Narben, Äderchen oder Altersflecken freie Haut, diese glatte, milchkaffeebraune Folie, die sich um die abgerundeten Kanten des Schädels spannte wie Samt um die für Schmuck vorgesehenen Vertiefungen einer Schatulle. Sie war froh, jetzt zu wissen, was an seiner Erscheinung ihr missfiel, konnte es ausblenden und sich darauf konzentrieren, ganz und gar von seinem selbstverliebten, arroganten Wesen abgestoßen zu sein. »Warum nicht«, sagte sie und rutschte auf dem Sessel nach vorne, um die erste Schwarzweißfotografie, die Raske ihr über den Tisch hinweg reichte, entgegenzunehmen.
Die Aufnahme zeigte einen Hund, der auf der Erde lag. Raske wartete einige Sekunden, dann hielt er Megan die
Weitere Kostenlose Bücher