Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
Vom Netzwerk:
über der Kommode hatte Ester eine Fläche freigehalten für ein paar Fotos, die Familienmitglieder zeigten: die Eltern, zwei Brüder, eine Schwester. Eine Handbreit daneben, als müsste Abstand gewahrt werden, hingen mehrere Automatenbilder, auf denen Ester und drei Mädchen zu sehen waren, jung und Grimassen schneidend, mit roten Lippen und mehr Lidschatten, als die kindlichen Gesichter vertrugen.
    Megan setzte sich auf das Bett und nahm den Stoffelefanten in die Hand, dessen Seiten kahl waren, abgescheuert von kindlichem Drang nach Nähe. Es war still wie in einem Museum. Sie würden sich nie in diesem Bett lieben; vielleicht, dachte sie, weil die Eltern und Geschwister sie sehen konnten von ihrem Platz an der Wand.
    Sie legte das Stofftier zurück, zog die Vorhänge zu und ging hinaus.
     
    Es wurde wärmer, über der trockenen Erde begann die Luft zu flirren. Megan benutzte den Regenschirm als Schutz vor der Sonne, wie Tanvir es tat. Sie ging zur Küchenbaracke, wo niemand war, nicht einmal Rosalinda, und klopfte dann bei Carla.
    »Ja?«
    »Ich bin’s, Megan.«
    »Komm rein!«
    Megan öffnete die Tür. »Störe ich?«
    Carla saß an einem Tisch zwischen zwei offenen Fenstern. »Ach wo.« Sie nahm ihre Brille ab und legte einen Stift hin.
    Megan ließ den Schirm draußen stehen, schloss die Tür und setzte sich auf den zweiten Stuhl.
    »Ganz schön heiß, was?« Carla goss kalten Tee in ein Glas und schob es Megan hin.
    »Ja.« Megan trank einen Schluck. »Ich freue mich schon auf die Regenzeit.«
    Carla zischte spöttisch durch die Lippen. »Bist du verrückt? Da ist es so heiß wie jetzt, nur noch feuchter.«
    Wieder kam Megan sich naiv vor, und ihr wurde bewusst, wie wenig sie auf diesen Kontinent vorbereitet war. In ihren Koffer für Borneo hatte sie, gegen Stuarts Rat, nur leichte Kleidung mitzunehmen, einen Wollpullover, zwei enge Jeanshosen und ein Paar Cowboystiefel gelegt, Dinge, die in diesem Klima unbrauchbar waren und jetzt wahrscheinlich vor sich hin schimmelten oder längst weggeworfen worden waren.
    »Was machst du?«, fragte sie, um dem Gedanken an Stuart nicht noch mehr Raum zu geben.
    »Ich schreibe meinen Eltern. Sie machen sich Sorgen.«
    Megan nickte, als wisse sie Bescheid. Sie sah sich um. Der Raum war hell, an den Wänden hingen kaum Bilder, kein Schrank machte ihn kleiner. Durch eine Tür ging es ins Schlafzimmer, durch eine andere ins Bad. Nichts lag zufällig herum, alles hatte seinen Platz. Während Ester aufbewahrte und sammelte und sich einrichtete, schien es, als habe Carla schon das Nötigste gepackt und sei jederzeit bereit, zu gehen, wenn es sein musste auch mitten in der Nacht.
    »Und du? Was machst du?«
    Megan zuckte mit den Schultern. »Nicht viel. Ich habe gezeichnet. Jetzt will ich zum Strand.«
    »Schwimmen?«
    »Mal sehen.« Megan trank das Glas leer und erhob sich. »Danke für den Tee.«
    »Am Abend gibt es Bier.« Carla grinste.
    »Ja.« Megan ging zur Tür und öffnete sie. Warme Luft wehte ihr entgegen und der Geruch nach trockenem Gras. »Bis dann.« Sie schloss die Tür, nahm den Schirm und überquerte rasch den Platz, an dessen Ende der Pfad zum Meer begann. Kleine Vögel flatterten vor ihr hoch und verschwandenin einem Wäldchen. Traurigkeit ergriff Megan so unerwartet, wie sich eine Wolke in einem blauen Himmel vor die Sonne schiebt. Es gibt keinen Grund, redete sie sich ein, rief den Satz laut hinaus und rannte los.
     
    Am Nachmittag ging sie zur Villa, um nach dem Hund zu sehen. Sie hatte ein paar von Raskes Mitbringseln in einen Stoffbeutel gepackt: das Stethoskop, die Taschenlampe, Latexhandschuhe. Als sie sich dem Haus näherte, sah sie Ruben, der auf der Wiese mit Chester und Wesley spielte. Sie winkte ihm zu, und er hob zaghaft die Hand. Der Anblick der beiden Affen, die sich in einer Hängematte balgten, heiterte Megan ein wenig auf. Sie stieg die Treppenstufen hoch, betrat ohne anzuklopfen das Haus und ging ins Wohnzimmer, wo Nancy Preston in ihrem Sessel saß und weinte.
    Megan blieb in der Mitte des Raumes stehen und wartete, dass die Frau ihre Anwesenheit bemerkte. Der Hund lag neben dem Sessel am Boden, und soweit Megan es beurteilen konnte, atmete er. Sie machte einen Schritt auf die beiden zu.
    »Nancy? Ich bin es, Megan O Flynn«, sagte sie so leise wie möglich.
    Nancy hob den Kopf und starrte Megan aus roten, verquollenen Augen an. »Ach herrjeh«, sagte sie, dann weinte sie wieder, wobei sie sich mit beiden Händen ein zerknülltes

Weitere Kostenlose Bücher