Auf den Inseln des letzten Lichts
Meer lag. Bevor er ganz oben angelangt war, verlangsamte er seinen Schritt und blieb schließlich stehen. Das Motorengeräusch war deutlich zu hören, das Tuckern vermischte sich mit dem Rauschen der Wellen, die sanft und ohne sich zu brechen an den Strand rollten. Tobey legte sich hin und spähte zwischen gelben, trockenen Grasbüscheln hindurch zu der Stelle, wo der Stein aus dem Sand ragte. Das Meer war ein dunkel gemustertes, flackerndes Band, das mit dem tiefen Himmel verschmolz. Der Streifen zwischen dem karg bewachsenen Wall, auf dem Tobey lag, und der träge wogenden See war gerade hell genug, um das Boot als Objekt erkennbar zu machen. Vier Gestalten traten aus der Düsternis hervor, wabernde Punkte, die größer wurden und ebenso an Kontur gewannen wie das offene Holzboot, das sie an Land zogen. Ihre Stimmen, anfänglich noch ein diffuses Gewirr, hoben sich allmählich vom Brandungsgeräusch ab.
Spätestens jetzt hielt Tobey es für ratsam, sich unsichtbar zu machen. Er drehte sich um und rannte gebückt die Böschung hinunter, folgte ein Stück weit dem Pfad und verschwand in einem Wäldchen, zwischen dessen Stämmen die Luft so lichtlos und stofflich war, dass er das Gefühl hatte, verschluckt zu werden. Als er die Stimmen näher kommen hörte, ging Tobey in die Hocke. Das schilfähnliche Gras, das den Weg säumte, stand hüfthoch und dicht; von den Männern, die wenig später auftauchten, waren nur die Köpfe zu sehen, von einem gar nichts. Sie redeten nicht mehr, nur einer fluchte leise, als er etwas Schweres fallen ließ und stöhnend aufhob. Ein Vogel schlug irgendwo Alarm, weit weg krächzte ein zweiter. Die Zikaden stellten ihren schrillen Gesang ein, nur um kurz darauf umso heftiger loszulärmen.
Tobey wartete, bis die Männer verschwunden waren, dann folgte er ihnen. Er hatte für einen Moment mit dem Gedanken gespielt, das Boot zu nehmen und davonzufahren, verwarf ihn aber wieder, weil er seinen Koffer brauchte, das Geld, Megans Briefe, Wasser. Zudem wusste er nicht, in welche Richtung er fahren musste und wie viel Benzin im Tank des Motors war. Er wollte die Insel nicht verlassen, ohne etwas von Megan mitzunehmen, einen der glattgeschliffenen Steine von ihrem Grab vielleicht oder die Notizen und Zeichnungen, die Tanvir erwähnt hatte.
Als erstes hörte er wieder die Stimmen, dann sah er den fahlen Lichtschimmer. Er kauerte sich hin und horchte. Der Griff nach dem Messer sollte ihn beruhigen, bewirkte jedoch das Gegenteil. Nach einer Weile, während der ihm das Herz im Hals schlug, kroch er vorwärts zu einer Stelle, von der aus er, verborgen hinter Gras und Büschen, eine kleine Lichtung sehen konnte, auf der sechs Männer standen, unter ihnen das bärtige Kind. Tobey erkannte auch Miguel und Jay Jay, die sich mit einem der Männer aus dem Boot unterhielten. Gelbes Licht aus mehreren Petroleumlampen legte sich auf den sandigen Boden, ein halbes Dutzend Kanister und Holzkisten und zwei Behälter aus hellem Kunststoff, groß wie Kühlschränke, mit Griffen an den Stirnseiten. Die Männer tranken aus einer Flasche, die sie kreisen ließen, zwei rauchten. Geredet wurde in kurzen Sätzen, keiner lachte oder hob die Stimme. Als die Flasche leer war, hoben die vier Männer, die mit dem Boot gekommen waren, die beiden Kunststoffbehälter hoch und machten sich auf den Rückweg zum Strand.
Tobey vergaß alles, was er je über Schlangen gelesen hatte, und kroch durch dürres Gras in ein Dickicht aus armdicken, bambusartigen Stämmen, wo er sich auf den kühlen, nach verrottetem Laub und Fäulnis riechenden Boden legte und wartete, bis Miguel und Jay Jay die Kisten in ihrem Handkarren weggeschafft hatten und wieder alles ruhig war.
In seinem Zimmer wusch er sich Gesicht und Hände und hob die Kommodenabdeckung hoch, um nachzusehen, ob noch alles da war. Dann ging er hinüber zur Küchenbaracke. Er spähte durch das Fenster und sah Rosalinda und Chester, die am Tisch saßen und Maiskolben schälten. Das Radio spielte, Geigenklänge und eine hohe, traurige Frauenstimme drangen durch das Fliegengitter. Chester kaute auf etwas und arbeitete langsam, Rosalinda rupfte mit geübten Griffen die Blätter und Fäden von den Kolben.
Obwohl Tobey hungrig war, holte er die kleinere der beiden Taschenlampen, die ihm der Verkäufer als unverzichtbar aufgedrängt hatte, aus dem Zimmer und ging über den Platz in die Richtung, in der er den Hügel vermutete. Die Wolkendecke war aufgerissen, ab und zu drang
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