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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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ist nicht mehr richtig im Kopf, sie gehört in ein Pflegeheim. Ich bin sicher, dass sie in Amerika besser aufgehoben wäre als hier.«
    »Also immer langsam und der Reihe nach.« Tanvir rieb sich das Gesicht, atmete einmal tief ein und aus. »Nancy befindet sich im Anfangsstadium einer leichten Demenz. Sie ist etwas verwirrt, aber für eine Achtundsiebzigjährige noch in durchaus solider geistiger Verfassung. Was ich von Pflegeheimen halte, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und was Amerika betrifft, so will sie dorthin nicht zurück. Die Gerüchte im Zusammenhang mit dem Tod ihres Mannes interessieren zwar längst niemanden mehr, doch Nancy ist der festen Überzeugung, dass jeder dort mit dem Finger auf sie zeigt.«
    »Sie vergisst, dass ihr Mann tot ist und ein brennendes Streichholz ein Haus abfackeln kann. Und an die Geschichte mit der russischen Nutte erinnert sie sich?«
    »Sie müssen sich das menschliche Gehirn als gigantischen Aktenschrank vorstellen, Tobey, tausende Karteikarten mögen infolge von Alterung und Krankheit leer sein, die Einträge ausradiert, aber einige sind noch immer beschriftet, und man wundert sich, was gelöscht wird und was gespeichert bleibt.«
    »Warum ist sie überhaupt auf der Insel?«
    »Sie hat mich begleitet. Oder ich sie, wie Sie wollen. Die Stiftung hatte schon über eine Million Dollar an IPREC gezahlt, und noch immer kannte Nancy das Zentrum nur von Fotos in den Jahresberichten. Also schlug ich ihr vor, sich einmal alles vor Ort anzusehen. Das war an einem Montag, am Freitag saßen wir im Flieger nach Manila.«
    »Und seither ist sie hier?«
    Tanvir lachte. »Wo denken Sie hin! Sie blieb zehn Tage. Ich bin derjenige, der seit jenem Tag auf dieser elenden Insel sitzt!«
    »Aber das war doch, was Sie wollten.«
    »Ja, schon, aber zu behaupten, man hätte mich seitens der Wissenschaftler mit offenen Armen empfangen, wäre übertrieben. Ablehnend frostig trifft die Haltung der kleinen Truppe mir gegenüber schon eher. Da nützte es mir auch nichts, als Protegé der großen Geldgeberin aufzukreuzen, im Gegenteil. Kaum saß Nancy im Hubschrauber, machte man mir klar, wie die Dinge auf der Insel liefen. Es gab einen Arzt, einen zweiten brauchte man nicht, und meine angelesenen Kenntnisse im Bereich der Primatenforschung, die ich geltend zu machen versuchte, sorgten nur für Spott und Gelächter.«
    »Was haben Sie dann gemacht?«
    »Fünf Wochen lang Däumchen gedreht, Muscheln gesammelt und das Verhalten des Geckos studiert, der in meinem Badezimmer lebte. Und dann, als ich schon ernsthaft erwog, die Insel zu verlassen, kam Nancy zurück. Ein russischer Reporter, angeblich mit bestem Draht zur St. Petersburger Polizei, hatte einem englischen Revolverblatt die Geschichte mit der Prostituierten verkauft und besagte Dame gleich dazugeliefert. Obwohl die ganze Sache möglicherweise nur erfunden war, um die Schulden des Reporters zu tilgen und den Geltungsdrang der Dirne zu befriedigen, griffen ein paar unseriöse Zeitungen in den USA die Geschichte auf, und für Nancy begann ein Albtraum. Nach drei Tagen war sie mit den Nerven am Ende, regelte alle geschäftlichen Dinge und verließ Texas in Richtung Philippinen.«
    »Und dann ist sie geblieben?«
    »Zwischendurch ist sie nach Manila geflogen oder nach Singapur, Hongkong, Dubai. Aber seit acht Jahren lebt sie auf der Insel.«
    »Wer ist Diego?«
    »Ach, Nancys Gärtner in Texas. Mexikaner, netter Kerl. Jetzt hält sie Miguel für Diego, und er spielt mit.« Tanvir erhob sich schwerfällig und verstaute die Keksdose im Schrank.
    »Warum zwei Inseln?«
    »Das erzähle ich Ihnen ein andermal, wenn es Ihnen recht ist. Die Reise in die Vergangenheit hat mich doch ziemlich ermüdet.«
    »Klar.« Tobey stand auf. »Also dann, gute Nacht.«
    »Gute Nacht, schlafen Sie gut.« Tanvir öffnete die Tür. Das Weiß in seinen Augen sah entzündet aus, eine Ginfahne umwehte ihn.
    »Sie auch.« Tobey war kaum auf den Flur getreten, da schloss sich die Tür in seinem Rücken.
     
    Am nächsten Tag stand Tobey mit dem ersten Licht auf. Er wusch sich, zog sich an und ging zur Küchenbaracke, die jedoch verschlossen war. Schläfrige Stille lag auf der Station, nur aus der Mitte der Insel, aus dem bewaldeten Kern drangen vereinzelte Vogelrufe. Tobey sah durch ein Fenster in die Küche, wo auf dem Tisch ein halbes Brot und in einem Korb gekochte Eier lagen, dann machte er sich hungrig auf den Weg zum Friedhof.
    Megans Grab sah noch immer schrecklich

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