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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Bitte nicht ausschlagen. Sie besorgte alle nötigen Papiere, und schon bald war ich auf dem Weg nach Blackburn, Großbritannien, in eine andere Welt.« Tanvir betrachtete das Glas, als sei der Gin darin das Einzige, was ihn noch mit England verband. »Leslie adoptierte Bridget, es gab sonst keine Verwandten. Ich wohnte vier Monate lang ein paar Häuser entfernt, arbeitete in der Versandabteilung eines Kaufhauses und unterrichtete Bridget an drei Tagen in der Woche. Wir lasen gemeinsam Bücher und gingen ins Museum oder in den Zoo. Ich erzählte ihr alles, was ich über Monet und van Gogh und Ameisenbären wusste, und sie hörte mir zu, aber ich merkte, dass sie sich verändert hatte, dass sie nicht mehr das Kind war, das sie vor dem schrecklichen Tag in Delhi gewesen war. Das betrübte mich sehr und verstärkte meine Schuldgefühle, die ich loszuwerden versuchte, indem ich mehr Zeit mit ihr verbrachte, was aber nur dazu führte, dass ich mich noch vehementer selbst anklagte. IhreEpilepsieanfälle häuften sich, und einmal, als sie unbeaufsichtigt war, stürzte sie und schlug sich den Kopf an einer Treppenstufe. Wir brachten sie ins Krankenhaus, wo sich eine junge, äußerst nette Ärztin um sie kümmerte. – Hören Sie mir noch zu?«
    »Junge, äußerst nette Ärztin.«
    »Um Sie nicht weiter zu langweilen, greife ich vor und sage Ihnen, dass ich mich in diese Ärztin verliebte und sie sich in mich und dass sie meine erste Frau wurde. Dann würde ich gerne elf sehr glückliche und drei sehr unerfreuliche Monate und eine hässliche Scheidung überspringen und dort fortfahren, wo ich nach London zog.«
    »Nicht nach Amerika?«
    »Gleich. Zuerst London im Schnelldurchlauf. – Eine Kette von Zufällen und eine Handvoll nützlicher Bekanntschaften verhalfen mir zu einer Stelle als Arzt in einem Heim für obdachlose Männer. Ein halbes Jahr später erhielt ich einen Anruf von Leslie, in dem sie mir mitteilte, Bridget sei gestorben. Das Mädchen hatte nachts einen epileptischen Anfall erlitten, Erbrochenes war in die Lunge geraten, eine Lungenentzündung die Folge. Ich fuhr zur Beerdigung und blieb ein paar Tage, um Leslie seelischen Beistand zu leisten. Ich wohnte in ihrem Haus, schlief in Bridgets ehemaligem Zimmer, wo noch die Umzugskartons mit ihren Spielsachen herumstanden. Leslie war sehr angeschlagen, vor vier Jahren hatte sie ihren Mann durch einen Autounfall verloren, und jetzt hatte ihr das Schicksal die Nichte entrissen. Sie weinte sehr viel, und als ich mir eines Tages nicht mehr anders zu helfen wusste, nahm ich sie in den Arm. Sie ahnen es, das eine führte zum andern, ich blieb in Blackburn, Leslie wurde meine zweite Frau. Fast zwei Jahre waren wir verheiratet, und ich will den Wert dieser Ehe nicht schmälern, indem ich sage, dass ich nicht in Leslie verliebt gewesen sei, aber ich will ehrlich sein und gestehen, dass die Verbindung sehr stark auf meinem Bestreben gründete, Leslie zu trösten und sie mit ihrem Schmerz nicht alleine zu lassen. Es liegt mir auch fern zu verhehlen, dass ich hoffte, durch diese Heirat einen Teil meiner Schuld zu tilgen, die ich mir in Delhi aufgeladen hatte. Nun, wir lebten zusammen, ich gab ihr an Ermutigung und Beistand, was ich konnte, und sie tat ihr Möglichstes, mir das zu bieten, wovon sie dachte, dass ein Mann es brauchte. Ihre fast schon verzweifelte Bemühtheit hatteetwas Rührendes, und obwohl wir beide wohl bereits die Vergeblichkeit unseres Bündnisses ahnten, hielten wir trotzig an seinem Bestehen fest. Sie arbeitete in der Städtischen Verwaltung und verschaffte mir eine Stelle als Leiter von Erste-Hilfe-Kursen, die von Beamten regelmäßig besucht werden mussten. Die viele freie Zeit verbrachte ich in der Bibliothek, wo ich medizinische Fachbücher las, kreuz und quer, was mir gerade in die Finger kam. Leslie war Mitglied des Ornithologischen Vereins, den ihr Mann bis zu seinem Tod präsidiert hatte. Um ehrlich zu sein, fand ich weniger Gefallen an den gefiederten Studienobjekten als an der Bewegung in der freien Natur, und so streiften wir manches Wochenende durch Wälder und Felder und beobachteten brütende Zaunkönige und balzende Birkhähne. – So vergingen fast zwei Jahre. Und dann, eines Tages im Juni, saß ich in der Bibliothek, und mir wurde klar, dass ich nach Hause gehen und Leslie sagen musste, die Zeit unserer Trennung sei gekommen. Sie reagierte sehr gefasst, und im Winter waren wir geschieden.«
    »Und dann sind Sie nach Amerika

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