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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Feindseligkeit. Müde wirkte er und abwesend, dachte Tobey, aber das lag bestimmt daran, dass er gerade aufgestanden war.
    »Störe ich?« Tobey wusste, dass der Bonobo ihn nicht verstand. Dann fiel ihm der Ordner ein, und er beschrieb mit den Händen ein Rechteck und blätterte durch unsichtbare Seiten.
    Montgomery trat zur Seite und ließ Tobey ins Zimmer. Das Bett war ordentlich gemacht, auf der Tagesdecke lagen die lange blaue Hose und das dazu passende Hemd. Tobey wartete, dass Montgomery den Ordner aus dem Regal nahm, aber der Bonobo stand noch immer an der Tür, die Hand auf dem Griff. Tobey griff selber nach dem Ordner und suchte das Wort entschuldigen , fand es aber nicht und zeigte stattdessen auf sich und dann auf das Wort böse . Er suchte verwirrt , aber das fehlte auch, dann stieß er auf traurig und zeigte wieder erst auf sich und dann auf den Begriff, den ein Punkt-Punkt-Komma-Strich-Gesicht mit einem nach unten gezogenen Mund illustrierte. Er fand das Wort schlagen und bildete einen Satz, den er Montgomery hinhielt.
    Ich. Schlagen. Montgomery. Schmerzen. Ich. Traurig.
    Montgomery machte die Tür zu und nahm Tobey den Ordner aus der Hand. Er setzte sich in den Sessel, legte sich den Ordner auf die Knie und wies mit dem Finger auf ein Wort.
    Tobey sah sich das Wort an. »Verstehen«, sagte er und lächelte. Er kauerte sich neben den Sessel, nahm Montgomerys Hand und legte sie in seine, und weil er nach einer Weile nicht weiterwusste, streichelte er sie.
    Irgendwann blätterte Montgomery im Ordner und zeigte auf das Wort essen .
    »Essen«, sagte Tobey und nickte. »Sehr gut.« Er suchte das Wort Hunger und rieb sich den Bauch.
    Montgomery deutete auf die Hose und das Hemd auf dem Bett.
    »Anziehen, verstehe.« Tobey erhob sich, zeigte auf sich, dann auf den Begriff warten und zum Fenster.
    Montgomery nickte.
    Tobey ging aus dem Zimmer, machte die Tür zu und stellte sich draußen in den Schatten eines Baumes. Die Pfützen waren ausgetrocknet, die Vertiefungen im Boden nur noch dunkle, feuchte Erde, auf der kleine bleigraue Fliegen saßen. Er konnte nicht ruhig stehenbleiben, ging hin und her, hob einen Stein auf und warf ihn nach einem Baum, ohne zu treffen. Er dachte darüber nach, was gerade passiert war, und schüttelte den Kopf. Er hatte sich mit einem Menschenaffen unterhalten, hatte sich bei ihm entschuldigt, weil er ihn geschlagen hatte, und der Bonobo hatte ihn verstanden, ihm vielleicht sogar verziehen. Tobey drehte Kreise, legte den Kopf in den Nacken und lachte. Er umrundete den Baum, und bevor er anfing zu tanzen, kam Montgomery und sie gingen nebeneinander her zur Küchenbaracke.
    Chester hockte am Boden und löffelte etwas aus einer Schüssel, als Tobey und Montgomery den Raum betraten. Er hielt einen Moment lang in der Bewegung inne, dann tauchte er den Löffel wieder in die Schüssel. Rosalinda begrüßte Tobey und Montgomery, während Jay Jay, der am Tisch über einem Teller Rührei und Speck saß, nur kurz den Kopf hob und Tobey zunickte. Die Ventilatoren drehten sich langsam, die Küche war noch kühl von der Nacht, und im Radio lief ein Lied, das Tobey erst nach einer Weile als »Danny Boy« erkannte, asiatisch interpretiert von einer philippinischen Sängerin, deren dünne Stimme fast unterging im Bombast des streicherlastigen Orchesters. Er hätte Rosalinda gerne gefragt, ob der philippinische Text dem Original entsprach, aber dann stellte die Köchin Brot, Butter, Käse, Tomaten und einen Topf mit heißem Porridge auf den Tisch, und er begann zu essen. Zwischendurch tauschte er mit Montgomery Blicke aus, und ein Glücksgefühl durchströmte ihn.
    Nachdem er fertig gegessen und den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, stand Jay Jay auf. »Montgomery, Coco«, sagte er und trug sein Geschirr zur Spüle.
    Montgomery gab einen Laut von sich, erhob sich und räumte seinen Teller und das Glas ebenfalls weg. Er berührte Tobey flüchtig mit der Hand am Arm und folgte Jay Jay ins Freie.
    »Wohin gehen sie?«, fragte Tobey, nachdem die beiden weg waren.
    »Andere Insel. Kokosnuss holen.« Rosalinda saß Tobey gegenüber. Sie trug ein zu einem Turban gewundenes Kopftuch und ein buntes Kleid, das an den Schultern weit geschnitten war und ein Dekolleté offenbarte, das Tobey daran erinnerte, was er auf dieser Insel irgendwann vermissen würde, falls er es nicht schon längst tat.
    »Mit dem Boot?« Tobey hatte es während des Frühstücks vermieden, Rosalinda länger als eine Sekunde

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