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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Musik, dachte er, hätte ihn jetzt vielleicht ein wenig getröstet, aber er saß einigermaßen bequem und wollte nicht aufstehen, um das Radio einzuschalten. Er legte sich das feuchte Geschirrtuch um den Hals und schloss die Augen. Nach einer Weile nahm er den Eisbeutel vom Fuß und hielt ihn abwechselnd unter die eine und dann die andere Achsel. Er fühlte sich schwer und müde und wollte sich auf den Boden fallen lassen und schlafen, aber er wollte auch duschen und auf einer weichen Matratze liegen. Er nahm das Glas in die Hand, um den letzten Schluck Wasser zu trinken, als er sich daran erinnerte, dass Tanvir nie Eis in den Gin tat. Er erhob sich, klemmte die Krücken unter die Arme, schüttetedas Wasser und die halb geschmolzenen Eiswürfel ins Spülbecken und verließ die Küche.
    Nachdem er so lange gesessen hatte, tat ihm alles noch mehr weh, die Arme, die Hände, die Beine, der Fuß, der nackt aus dem Hosenbein hing. Die Nacht war so schwarz wie nie und eigenartig still, die Luft feucht und kaum abgekühlt. Er humpelte die wenigen Meter um die Baracke herum, mühte sich die Treppe hoch und ging durch den erhellten Flur zu Tanvirs Zimmer. Die Krücke zum Anklopfen erhoben, hörte er die aufgeregte Stimme Rosalindas, die klang, als hätte sie geweint oder stünde kurz davor. Ab und zu brummte Tanvirs Bass dazwischen, träge und beschwichtigend. Als es für längere Zeit still wurde, klopfte Tobey an.
    »Wer ist da?«, rief Tanvir, gerade als Tobey, auf einem Bein balancierend, zum zweiten Mal klopfen wollte.
    »Ich bin’s, Tobey!«
    »Kommen Sie rein!«, rief Tanvir ein paar Sekunden später.
    Tobey betrat das Wohnzimmer. Auf dem Tisch beim Sofa lag ein zusammengeknülltes Handtuch, daneben stand eine der Flaschen aus der Sanitätsstation.
    »Wir sind hier, im Schlafzimmer!«
    Der Raum lag neben dem Bad und war so klein, dass außer dem Bett, einem Nachttisch und einer Holztruhe nichts hineinpasste. An der Wand über dem Bett hing ein Schwarzweißposter, das London im Nebel zeigte, an einer anderen das Plakat zum Film »Moby Dick«. In einer Ecke lehnte der Schirm, davor standen ein Plastikeimer und ein Paar Sandalen. Eine nackte Glühbirne, die aus einem würfelförmigen hölzernen Lampenfuß ragte, tauchte alles in ein kreidiges 30-Watt-Licht.
    »Ach, Tobey.« Tanvir lag mit einer Art Pyjama bekleidet auf dem Bett, Rosalinda saß am Fußende, die Schüssel mit den Eiswürfeln auf dem Schoß.
    »Störe ich?« Tobey stand unschlüssig im Türrahmen.
    »Nein, nein, kommen Sie.« Tanvir winkte Tobey herein. »Einen Stuhl kann ich Ihnen leider nicht anbieten.« Er hielt sich ein mit Eiswürfeln gefülltes Geschirrtuch an die linke Wange, auf der eine dunkelblaue Verfärbung zum Auge hin wuchs.
    Tobey humpelte näher ans Bett. »Was ist denn passiert?«
    Tanvir sagte etwas auf Tagalog zu Rosalinda, und nach einem kurzen Hin und Her stand die Köchin auf und drückte Tobey die kalte Schüssel in die freie Hand. »Eis«, sagte sie und ging hinaus.
    »Wo zum Teufel waren Sie denn?«, stieß Tanvir hervor, nachdem Rosalinda die Tür zum Flur hinter sich geschlossen hatte.
    »Beantworten Sie eine Frage immer mit einer Gegenfrage?« Tobey hatte versucht, witzig zu sein, merkte aber schnell, dass der Zeitpunkt dafür schlecht gewählt war.
    »Ich will wissen, wo Sie waren, Herrgott!«, rief Tanvir. »Und was sind das für Stöcke?« Er hatte sich halb aufgesetzt und das Kissen ins Kreuz geschoben.
    »Krücken«, sagte Tobey, durch Tanvirs Lautstärke ein wenig verunsichert. »Ich hatte einen Unfall.« Er hob das Bein und zeigte Tanvir den geschwollenen Fuß.
    Tanvir stöhnte auf, und es war schwer zu sagen, ob die eigenen Schmerzen oder der Anblick von Tobeys Fuß der Grund dafür waren. Er nahm den Eisbeutel vom Gesicht und wischte sich mit dem Ärmel über die violett verfärbte, feuchte Wange.
    »Und wie ist das passiert?« Tobey überlegte, ob er sich ans Fußende des Bettes setzen solle, entschied sich dann aber dafür, auf der Truhe Platz zu nehmen, die unter dem Filmplakat auf einem Sisalteppich stand.
    »Auch ein Unfall. Was haben Sie getrieben?«
    »Ich war spazieren. Was für ein Unfall?«
    »Bin gestürzt. Spazieren?«
    »Keine gute Idee, ich weiß. Wo sind Sie gestürzt?«
    Tanvir schien die Sinnlosigkeit dieser Unterhaltung eingesehen zu haben und schwieg. Er presste das Tuch mit den Eiswürfeln wieder an die Wange und seufzte.
    »Sieht eher wie ein Faustschlag aus«, sagte Tobey nach einer Weile. Er tauchte

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