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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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Vermutung war oder eine Feststellung.
    Tanvir antwortete nicht. Ein Falter setzte sich auf seinen Kopf, klappte die Flügel auseinander und wieder zusammen. Es sah aus, als sei eine Raumsonde auf einem Planeten gelandet und teste die Sonnensegel. Tanvir bemerkte es nicht, oder es war ihm egal. Er starrte auf seine Füße, eine Hand hatte er über das Glas gelegt.
    »Sie verdammter Dreckskerl«, sagte Tobey leise und leidenschaftslos. Er überlegte, ob er Tanvir gerne geschlagen hätte, stellte sich vor, ihn mit einer Krücke zu verprügeln, merkte aber, dass er weder das nötige Verlangen noch die Kraft hatte, auf den alten Mann loszugehen. Der Gedanke, seit ein paar Stunden tot zu sein, war so grotesk, dass er ihn nicht zu Ende denken konnte. Jedes Mal, wenn die Kugel ihn traf, ging es in seiner Vorstellung nicht weiter, fiel er nicht um und hauchte sein Leben aus, sondern stand da und sah sich selber ins Gesicht, bewegungslos, bis das Bild weiß wurde.
    »Was sagen Sie, wenn ich Ihnen vorschlage, die Insel gemeinsam zu verlassen? Noch heute Nacht.«
    Tobey tauchte aus seinen Gedanken auf wie aus schwerem dunklem Wasser. »Ich sage, scheren Sie sich zum Teufel.«
    »Wollen Sie lieber auf die Bastarde warten und mit ihnen hinausfahren?«
    »War das der Plan? Mich ins Meer zu werfen?«
    Tanvir trank einen Schluck. »Ja.«
    Ein Gedanke durchzuckte Tobey so plötzlich und heftig, dass er glaubte, einen Schlag im Kopf zu spüren. »Haben die Megan umgebracht?«
    Tanvir senkte den Blick und schüttelte langsam den Kopf.
    »Haben diese Dreckskerle sie ins Meer geworfen? Mit Ihrem Wissen? Ihrem Einverständnis?«
    Tanvir schüttelte noch immer den Kopf. »Nein, nein, nein …«, flüsterte er, die Augen geschlossen. Ein Windhauch drang durch das Loch im Fliegengitter, bewegte sachte den Vorhang.
    Tobey erhob sich und riss den Vorhang herunter. Dann verließ er den Raum, durchquerte das Wohnzimmer und zerschlug mit der Krücke alles, was herumstand. Sein Fuß war ein Vulkan, Lava floss das Bein hoch in den Schädel, Blitze zuckten vor seinen Augen. Er öffnete die Tür, ging schwankend durch den Flur und stürzte die Treppe hinunter. Feine Erde klebte an den Wunden seiner Handflächen, als er sich aufrappelte. Er humpelte über den Platz zur Sanitätsstation, schlug die Scheibe ein und nahm ein Paar Krücken aus Metall und alle Seile und Schnüre, die er in der Dunkelheit finden konnte, ging zum Schuppen neben dem Generator und schleppte ein Dutzend leerer Benzinkanister ins Freie, band sie an den Griffen mit einem Seil zusammen und zog sie zum Strand. Ein Wind traf ihn, der vom Meer kam und faserige Wolken vor sich herschob. Es war stockfinster, aber Tobey kannte den Weg, und ab und zu warf der Mond ein wenig Licht durch eine Lücke und ließ den Sand aufleuchten.
     
    Beim nächsten Gang holte er den Koffer aus dem Zimmer. Er wusch sich hastig und schluckte zwei Schmerztabletten aus der Streichholzschachtel. Dann füllte er zwei Plastikflaschen mit Wasser und legte sie mit dem rechten Schuh in den Koffer. Das in Folie gewickelte Geld steckte er zumPass in den linken Schuh. Nachdem er ein Hemd angezogen und sich den Koffer an den Rücken geschnallt hatte, riss er das Laken von der Matratze und warf es sich um die Schultern. Er überlegte, die Deckplatte der Kommode mitzunehmen, um sie irgendwie an den Kanistern zu befestigen, aber sie zum Strand zu schleppen erschien ihm unmöglich, also ließ er sie, wo sie war.
    Als er auf den Flur trat, kam Jay Jay aus seinem Zimmer und sah ihn aus kleinen, geröteten Augen an. »Was ist los?«
    »Nichts. Ich kann nicht schlafen.« Tobey ging an ihm vorbei ins Freie. Er wusste, was für einen Anblick er abgab, und wollte gar nicht darüber nachdenken, was Jay Jay ihm noch für Schwierigkeiten machen konnte. Der Wind hatte erneut an Stärke zugenommen. Wenn er in die Baumkronen fuhr, klang es, als würden hunderte Vögel ihr Gefieder schütteln. Mit einem Stück Schnur befestigte Tobey die kleinere Taschenlampe so an einer der Krücken, dass ihr Lichtstrahl auf den Boden vor ihm fiel.
    Am Strand setzte er sich im Schein der großen Taschenlampe hin, schlang die Seile um die Kanister und band sie dann mit Schnüren aneinander, zwei Reihen mit je sechs Kanistern, ein instabiles Gebilde, aber immerhin lang genug, dass er sich hinlegen konnte. Er zog das Floß, das den Namen nicht verdiente, ins Wasser, um zu sehen, ob es schwamm. Die Wellen hoben es hoch, die Kanister schlugen scheppernd

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