Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
alten Jagdrock trug, der stets bequemer wird, je öfter er sich mit Schlamm und Blut durchtränkt. Aus diesem Grunde hatte ich auch den Eindruck, daß Braquemart sich auf ein böses Abenteuer einzulassen auf dem Sprunge stand; bei solchen Treffen wurden die Ethiker noch immer von den Praktikern erlegt.
Wahrscheinlich ahnte Braquemart von seiner Schwäche dem Alten gegenüber und hatte deshalb den jungen Fürsten mitgebracht. Uns schien in- dessen, daß dieser in ganz anderen Zusammenhän- gen webte, und so ergeben sich oft Bünde wunder- licher Art. Vielleicht war es der Fürst, der Braque- mart benutzte, wie man ein Boot zur Überfahrt be- nutzt. In diesem schwachen Körper lebte ein starker Zug aufs Leiden zu, und wie im Traume hielt er, fast ohne Überlegung und doch mit Sicherheit, die Richtung ein. So raffen, wenn im Felde das Horn zum Angriff ruft, die guten Krieger sich sterbend noch vom Boden auf.
Mit Bruder Otho dachte ich später oft an dies Ge- spräch zurück, das unter keinem guten Sterne stand. Der Fürst sprach kaum ein Wort, und Braquemart entfaltete die unduldsame Überlegenheit, an der man den Techniker erkennt. Man sah ihm an, daß er sich im Geheimen über unsere Bedenken lustig machte, und ohne daß er über seine Pläne ein Wort verloren hätte, fragte er uns nach der Lage der Wälder und der Weidegründe aus. Auch zeigte er sich begierig nach Einzelheiten über des Adepten Fortunios Aben- teuer und Untergang. Wir sahen aus seinen Fragen, daß er dort zu erkunden oder auch zu operieren plante, und ahnten, daß er das Übel verschlimmern würde wie ein schlechter Arzt. Es war doch schließ- lich kein Zufall und kein Abenteuer, daß der Alte mit dem Lemuren-Volke aus dem Wälder-Dunkel herauszutreten begann und Wirksamkeit entfaltete. Gelichter dieser Art ward früher gleich Gaudieben abgefertigt, und sein Erstarken deutete auf tiefe Veränderungen in der Ordnung, in der Gesundheit, ja, im Heile des Volkes hin. Hier galt es anzusetzen, und daher taten Ordner not und neue Theologen, denen das Übel von den Erscheinungen bis in die feinsten Wurzeln deutlich war; dann erst der Hieb des konsekrierten Schwertes, der wie ein Blitz die Finsternis durchdringt. Aus diesem Grunde mußten die einzelnen auch klarer und stärker in der Bin- dung leben als je zuvor — als Sammler an einem neuen Schatz von Legitimität. So lebt man doch schon auf besondere Weise, wenn man nur einen kurzen Lauf gewinnen will. Hier aber galt es das hohe Le- ben, die Freiheit und die Menschen-Würde selbst. Dergleichen Pläne freilich hielt Braquemart, da er dem Alten mit gleicher Münze heimzuzahlen ge- dachte, für eitlen Firlefanz. Er hatte die Achtung vor sich selbst verloren, und damit fängt alles Unheil unter Menschen an.
So sprachen wir lange hin und her. Wenn wir uns in den Worten nicht verstanden, so ging uns doch im Schweigen vieles auf. Vor der Entschei- dung treffen sich die Geister wie die Ärzte am Kran- kenbett. Der eine möchte zum Messer greifen, der andere will den Kranken schonen, und der Dritte sinnt auf Mittel von besonderer Art. Doch was sind Menschenrat und -wille, wenn in den Sternen schon der Untergang beschlossen liegt? Indessen hält man Kriegsrat auch vor verlorener Schlacht.
Der Fürst und Braquemart gedachten, noch in der gleichen Nacht die Weidegründe aufzusuchen, und da sie weder Führung noch Begleitung annehmen wollten, empfahlen wir ihnen den alten Belovar. Dann gaben wir den beiden bis an die Stufen der Marmorklippen-Treppe das Geleit. Wir nahmen förmlich Abschied, wie man es pflegt, wenn die Begegnung ohne Wärme und ohne Frucht verlief. Doch schloß sich daran noch eine stumme Szene, die mich verwirrte, an. Die beiden blieben im ersten Dämmerlichte an den Klippen stehen und musterten uns schweigend eine lange Zeit. Schon stieg die Morgenkühle auf, in der die Dinge für eine kurze Spanne dem Auge sichtbar werden, als ob sie sich aus ihrem Ursprung entfalteten, neu und geheimnis- voll. So standen auch der Fürst und Braquemart. Mir schien, daß Braquemart den überlegenen Spott ver- loren hatte und menschlich lächelte. Der junge Fürst hingegen hatte sich aufgerichtet und blickte uns heiter an — als ob er um die Lösung eines Rätsels wüßte, das uns beschäftigte. Das Schweigen währte eine lange Zeit, dann faßte Bruder Otho noch einmal nach des Fürsten Hand und beugte sich tief auf sie hinab.
Nachdem die beiden am Zinnenrande der Mar- mor-Klippen dem Blick
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