Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
unverwelklich sind, uns stärkte, dem Hauche der Verwesung zu wider- stehn.
Als wir dann durch das hohe Holz zum Waldrand schritten, war die Sonne hervorgetreten, wie man das zuweilen noch kurz vor ihrem Untergange an Nebeltagen sieht. In den durchbrochenen Kronen der Riesenbäume lag goldener Schein, und golden war auch der Glanz des Mooses, das unser Fuß be- trat. Die Kuckucks-Rufe waren nun längst ver- stummt, doch in den höchsten, Wipfeldürren Zweigen waren unsichtbar die Sprosser aufgezogen, köstliche Sänger, deren Stimme die kühle Feuchte inniglich durchdrang. Dann stieg mit grünem Schimmer, wie aus Grotten, der Abend auf. Den Geißblatt- Ranken, die aus der Höhe herniederhingen, ent- strömte tiefer Duft, und schwirrend stiegen die bunten Abendschwärmer zu ihren gelben Blüten- Hörnern auf. Wir sahen sie leise zitternd und wie im Wollust-Traum verloren vor den Lippen der auf- gereckten Kelche stehen, dann stießen sie vibrie- rend den schmalen und leicht gekrümmten Rüssel in den süßen Grund. xxx
Als wir bei den drei Pappeln das Filler-Horn ver- ließen, begann bereits die bleiche Sichel des Mondes sich in Gold zu färben, und die Sterne traten am Firmament hervor. Im Binsengrunde stießen wir auf den alten Belovar, der in der Dämmerung mit seinen Knechten und Hetzern auf unsere Spur ge- gangen war. Der Alte lachte, als wir ihm nachher beim Safran-Weine die rote Blume zeigten, die wir in Klöppels-Bleek erbeutet hatten; wir aber schwiegen und baten ihn beim Abschied, auf seinem schönen und unversehrten Hofe wohl auf der Hut zu sein.
20.
Es gibt Erfahrungen, die uns von neuem zur Prüfung zwingen, und zu ihnen zählte für uns der Einblick in die Schinderhütte bei Köppels-Bleek. Zunächst beschlossen wir, den Pater Lampros aufzu- suchen, doch ehe wir ins Kloster der Falcifera gelang- ten, brach schon die Katastrophe über uns herein. Am nächsten Tage ordneten wir lange Skripturen im Herbarium und in der Bibliothek und legten vieles schon brandgerecht. Dann saß ich noch ein wenig bei Beginn der Dunkelheit im Garten auf der Terrassen-Brüstung, um mich am Duft der Blu- men zu erfreuen. Noch lag die Sonnenwärme auf den Beeten, und doch stieg aus den Ufergräsern bereits die erste Kühlung auf, die den Geruch des Staubes niederschlug. Dann fiel der Hauch der Mondviolen und der hellen Nachtkerzen-Blüten kas- kadisch von den Marmor-Klippen in den Garten der Rauten-Klause ein. Und wie es Düfte gibt, die sinken, und andere, die aufwärtssteigen, so drang durch diese schweren Wellen ein leichteres und fei- neres Arom empor.
Ich ging ihm nach und sah, daß in der Dämmerung die große Goldband-Lilie aus Zipangu aufgesprun- gen war. Es war noch Licht genug, den goldenen Flammenstrich zu ahnen, und auch die braune Ti- gerung, durch die der weiße Kelch gar prächtig ge- zeichnet war. In seinem hellen Grunde stand wie der Klöppel in der Glocke das Pistill, um das sechs schmale Staubgefäße sich im Kreise ordneten. Sie waren mit braunem Puder wie mit dem feinsten Auszug von Opium bedeckt und von den Faltern ganz unbeflogen, sodaß die zarte Scheide in ihrer Mitte noch leuchtete. Ich beugte mich über sie und sah, daß sie an ihren Fäden zitterten wie Spielwerk der Natur: gleich einem Glockenspiele, das statt der Töne muskatische Essenz verströmen ließ. Für immer wird es ein Wunder bleiben, daß diese zar- ten Lebe-Wesen so starke Liebeskraft beseelt.
Indem ich so die Lilien beschaute, blitzte unten am Weinbergs-Wege ein feiner blauer Lichtstrahl auf und schob sich tastend am Rebenhügel vor. Dann hörte ich, wie unten vor der Rautenklausen- Pforte ein Wagen hielt. Obgleich wir Gäste nicht erwarteten, eilte ich doch, der Lanzen-Ottern we- gen, zum Tor hinab und sah dort einen starken Wagen stehen, der leise summte wie ein Insekt, das fast unhörbar schwirrt. Er trug die Farben, die der hohe Adel von Neu-Burgund sich vorbehalten hat, und vor ihm standen zwei Männer, von denen der eine das Zeichen schlug, mit dem die Mauretanier sich in der Dunkelheit verständigen. Er nannte mir seinen Namen, Braquemart, an den ich mich er- innerte, und stellte mich dann dem andern vor, dem jungen Fürsten von Sunmyra, einem hohen Herren aus neuburgundischem Geschlecht.
Ich bat sie, in die Rauten-Klause einzutreten und faßte sie, um sie zu führen, bei der Hand. So schritten wir zu dritt im schwachen Scheine den Schlangen- pfad empor, und ich
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