Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
bemerkte, daß der Fürst der Tiere kaum achtete, indessen Braquemart sie spöt- tisch und doch sehr aufmerksam vermied.
Wir gingen in die Bibliothek, in der wir Bruder Otho trafen, und während Lampusa Wein und Ge- bäck aufsetzte, begannen wir mit unseren Gästen das Gespräch. Wir kannten Braquemart bereits von früher, doch hatten wir ihn immer nur kurz ge- sehen, da er häufig auf Reisen war. Er war ein kleiner, dunkler, hagerer Geselle, den wir ein wenig grob- drähtig fanden, doch wie alle Mauretanier nicht ohne Geist. Er zählte zu jenem Schlage, den wir im Scherz die Tigerjäger nannten, weil man ihnen zu- meist in Abenteuern, die exotischen Charakter tru- gen, begegnete. Er ging in die Gefahr, wie man zum Sport in kluftenreiche Massive steigt; ihm waren die Ebenen verhaßt. Er hatte ein starkes Herz von jener Sorte, die nicht vor Hindernissen scheut; doch leider gesellte sich dieser Tugend Verachtung zu. Wie alle Schwärmer von Macht und Übermacht verlegte er seine wilden Träume in die Reiche der Utopie. Er war der Meinung, daß es auf Erden seit Anbeginn zwei Rassen gebe, die Herren und die Knechte, und daß im Lauf der Zeiten zwischen ihnen Vermi- schung eingetreten sei. In dieser Hinsicht war er ein Schüler vom alten Pulverkopf und forderte wie die- ser die neue Sonderung. Auch lebte er, wie jeder grobe Theoretiker, vom Zeitgemäßen in der Wissen- schaft und trieb besonders die Archäologie. Er war nicht fein genug, zu ahnen, daß unser Spaten un- fehlbar alle Dinge findet, die uns im Sinne leben, und er hatte, wie schon so mancher vor ihm, auf diese Weise den ersten Sitz des menschlichen Ge- schlechts entdeckt. Wir waren mit in der Sitzung, in der er über diese Grabungen berichtete, und hörten, daß er in einer fernen Wüste auf ein groteskes Tafel- Land gestoßen war. Dort wuchsen hohe Porphyr- Sockel aus einer großen Ebene empor — sie waren von der Verwitterung ausgespart und standen wie Bastionen oder Felsen-Inseln auf dem Grund. Sie hatte Braquemart erstiegen und auf den Hochpla- teaus Ruinen von Fürstenschlössern und Sonnen- tempeln aufgefunden, deren Alter er als vor der Zeit bezeichnete. Nachdem er ihre Maße und ihre Eigen- art beschrieben hatte, ließ er das Land im Bilde auf- erstehen. Er zeigte die fetten, grünen Weidegründe, auf denen, so weit das Auge reichte, die Hirten und die Ackerbauern mit ihren Herden saßen, und über ihnen auf den Porphyr-Türmen im roten Prunk die Adlernester der Urgebieter dieser Welt. Auch ließ er den längst versiegten Strom die Schiffe mit den Purpurdecks hinunterfahren; man sah die hundert Ruder mit insektenhaftem Regelmaß ins Wasser tauchen und hörte den Klang der Becken und der Geißel, die auf den Rücken der unglückseligen Ga- leeren-Sklaven fiel. Das waren Bilder für Braque- mart. Er zählte zum Schlage der konkreten Träu- mer, der sehr gefährlich ist.
Den jungen Fürsten sahen wir abwesend in ganz anderer Art. Er mochte zwanzig Jahr kaum über- schritten haben, doch stand zu diesem Alter ein Aus- druck schweren Leidens, den wir an ihm bemerkten, in sonderbarem Gegensatz. Obwohl er hoch gewach- sen war, hielt er sich tief gebeugt, als ob die Größe ihm Schwierigkeit bereitete. Auch schien er kaum zu hören, was wir verhandelten. Ich hatte den Eindruck, daß hohes Alter und große Jugend sich in ihm ver- einigten — das Alter des Geschlechtes und die Jugend der Person. So war in seinem Wesen die Dekadenz tief eingeprägt; man merkte an ihm den Zug alt an- gestammter Größe, und auch den Gegenzug, wie ihn die Erde auf alles Erbe übt — denn Erbe ist Totengut.
Ich hatte wohl erwartet, daß in der letzten Phase des Ringens um die Marina der Adel in Erscheinung treten würde — denn in den edlen Herzen brennt das Leiden des Volkes am heißesten. Wenn das Ge- fühl für Recht und Sitte schwindet, und wenn der Schrecken die Sinne trübt, dann sind die Kräfte der Eintags-Menschen gar bald versiegt. Doch in den alten Stämmen lebt die Kenntnis des wahren und legitimen Maßes, und aus ihnen brechen die neuen Sprossen der Gerechtigkeit hervor. Aus diesem Grunde wird bei allen Völkern dem edlen Blute der Vorrang eingeräumt. Doch hatte ich geglaubt, daß eines Tages aus den Schlössern und Burgen sich Bewaffnete erheben würden als ritterliche Führer im Freiheitskampf. Statt dessen sah ich diesen frühen Greis, der selbst der Stütze bedürftig war, und des- sen Anblick mir vollends deutlich machte, wie weit der Untergang schon
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