Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
doch das Gesicht bewahrt. So wäre ich kaum erstaunt gewesen, in diesem Antlitz noch das Einglas wahrzunehmen, das er im Leben trug. Auch war sein Haar noch schwarz und glänzend, und ich erriet, daß er zur rechten Zeit die Pille eingenommen hatte, die jeder Mauretanier am Körper führt. Es ist dies eine Kapsel aus buntem Glase, die man zumeist im Ringe und in den Augenblicken der Bedrohung im Munde führt. In dieser Haltung genügt ein Biß, die Kapsel zu zermalmen, in die ein Gift von aus- gesuchter Wirkung eingeschlossen ist. Dies ist die Prozedur, die in der Mauretanier-Sprache als die Berufung an die dritte Instanz bezeichnet wird — entsprechend dem dritten Grade der Gewalt, und sie gehört zum Bilde, das man in diesem Orden von der Würde des Menschen hegt. Man hält die Würde durch den gefährdet, der niedere Gewalt erduldet; und man erwartet, daß jeder Mauretanier zu jeder Stunde zum tödlichen Appell gerüstet sei. Das also war das letzte Abenteuer von Braquemart.
Ich sah das Bild in der Erstarrung, und ohne zu wissen, wie lange ich vor ihm weilte — wie außerhalb der Zeit. Zugleich verfiel ich in ein waches Träumen, in dem ich die Nähe der Gefahr vergaß. In solchem Stande gehen wir wie schlafend durch die Bedro- hung — zwar ohne Vorsicht, doch dem Geist der Dinge nah. So trat ich auf die Rodung von Köppels- Bleek, und wie im Rausche schienen die Dinge mir deutlich, doch nicht außer mir. Sie waren mir wie im Kinderland vertraut, und rings die bleichen Schädel an den alten Bäumen sahen mich fragend an. Auch hörte ich Geschosse auf der Lichtung sin- gen — sowohl das schwere Schwirren der Armbrust- Bolzen, als auch den scharfen Büchsenschuß. Sie fuhren so nah vorüber, daß sich mir die Schläfen- Haare hoben, doch achtete ich ihrer nur wie einer tiefen Melodie, die mich begleitete und mir das Maß für meine Schritte gab.
So kam ich im Schein der Silbergluten bis an die Schreckens-Stätte und bog die Stange, die das Haupt des Fürsten trug, zu mir herab. Mit beiden Händen hob ich es von der Eisenspitze und bettete es in die Ledertasche ein. Indem ich kniend dieses Werk ver- richtete, spürte ich an der Schulter einen harten Schlag. Es mußte mich eines der Geschosse getrof- fen haben, doch fühlte ich weder Schmerzen, noch sah ich Blut an meinem Lederrock. Nur hing der rechte Arm gelähmt herab. Wie aus dem Schlaf erwachend, blickte ich mich um und eilte mit der hohen Trophäe in den Wald zurück. Die Flinte hatte ich am Fundort des roten Waldvögeleins zu- rückgelassen, auch konnte sie mir nicht mehr dien- lich sein. So strebte ich sogleich dem Orte, an dem ich die Kämpfenden verlassen hatte, zu.
Hier war es ganz still geworden, und auch die Fackeln leuchteten nicht mehr. Nur wo die Büsche gelodert hatten, lag noch ein Schimmer von roter Glut. In ihm erriet das Auge am dunklen Boden die Leichen vom Kämpfern und erlegte Hunde; sie waren verstümmelt und fürchterlich zerfleischt. In ihrer Mitte, am Stamme eines alten Eichbaums, lag Belovar. Ihm war der Kopf gespalten, und der Blutstrom hatte den weißen Bart gefärbt. Vom Blut gerötet waren auch die Doppelaxt an seiner Seite und der breite Dolch, den seine Rechte noch fest umschloß. Zu seinen Füßen streckte sich der treue Leontodon, mit ganz von Schüssen und Stichen zer- fetzter Haut, und leckte im Sterben ihm die Hand. Der Alte hatte gut gefochten, denn um ihn lag ein Kranz von Männern und Hunden hingemäht. So hatte er den angemessenen Tod gefunden, im vollen Trubel der Lebensjagd, wo rote Jäger rotes Wild- bret durch Wälder hetzen, in denen Tod und Wollust tief verflochten sind. Ich sah dem toten Freunde lange in die Augen und legte ihm mit der Linken eine Handvoll Erde auf die Brust. Die große Mutter, deren wilde, blutfrohe Feste er gefeiert hatte, ist solcher Söhne stolz.
26.
Um aus dem Dunkel des großen Waldes auf die Weidegründe zurückzufinden, brauchte ich nur der Spur zu folgen, die wir beim Kommen gezogen hatten, und sinnend schritt ich den weißen Pfad entlang.
Es schien mir seltsam, daß ich während des Ge- metzels mich bei den Toten befunden hatte, und ich faßte es als ein Sinnbild auf. Auch stand ich immer noch im Banne der Träumerei. Der Zustand war mir nicht völlig neu; ich hatte ihn auch früher an Abenden von Tagen erfahren, an denen der Tod mir nahe ge- wesen war. Wir treten dann mit der Geisteskraft ein wenig aus dem Körper aus und
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