Auf den Schwingen des Adlers
etwas?« fragte Sorenson.
»Ich brauche nichts weiter«, erwiderte Paul. »Ich habe nicht vor, sehr lange hier zu verweilen.«
»Ich brauche Augentropfen«, sagte Bill.
»Ich kümmere mich darum«, versprach Sorenson.
»Ich denke, das war’s für heute ...«, sagte Jordan und blickte auf den Wärter.
Bill stand auf.
Jordan sprach auf Farsi mit dem Wachmann, der Paul und Bill ein Zeichen gab, den Raum zu verlassen.
Sie folgten ihm über den Hof. Jordan und Sorenson gehörten zu den unteren Chargen der Botschaft, überlegte Bill. Warum war Goelz nicht selbst gekommen? Es schien fast so, als sei man bei der Botschaft der Meinung, es wäre die Aufgabe von EDS, sie herauszuholen. Indem sie Jordan und Sorenson schickten, gaben sie den Iranern zu verstehen, daß die Botschaft zwar betroffen war, signalisierten gleichzeitig aber Paul und Bill, daß sie von seiten der US-Regierung wenig Hilfe zu erwarten hätten. Wir sind denen ein Dorn im Auge, den sie liebend gerne ignorieren würden, dachte Bill zornig.
Im Hauptgebäude angekommen, öffnete der Wärter eine Tür, durch die sie vorher nicht gekommen waren. Siedurchquerten die Eingangshalle und gelangten auf einen Korridor. Zu ihrer Rechten lagen drei Büroräume, linker Hand konnte man durch die Fenster auf den Hof hinaussehen. Sie erreichten eine weitere Tür, diesmal aus dikkem Stahl. Der Wärter schloß auf und ließ sie eintreten.
Das erste, was Bill wahrnahm, war ein Fernsehapparat.
Nachdem er sich umgesehen hatte, fühlte er sich ein wenig wohler. Dieser Gefängnistrakt war deutlich kultivierter als der Keller. Er war relativ sauber und hell, mit grauen Wänden und Teppichen. Die Zellentüren standen offen, und die Insassen konnten sich frei bewegen. Durch die Fenster schien Tageslicht.
Sie gingen weiter über einen Flur mit zwei Zellen auf der rechten und einem Raum, der wie ein Badezimmer aussah, auf der linken Seite. Bill freute sich schon darauf, sich nach dieser Nacht ein Stockwerk tiefer endlich waschen zu können. Als der durch die letzte Tür auf der rechten Seite spähte, erblickte er Bücherregale. Schließlich bog der Wachmann nach links und führte sie über einen langen, schmalen Korridor in die letzte Zelle.
Dort trafen sie jemanden, den sie kannten.
Es war Reza Neghabat, der für die Organisation der Sozialversicherung zuständige Staatssekretär beim Gesundheitsministerium. Sowohl Paul als auch Bill kannten ihn gut und hatten, bevor er im September festgenommen worden war, eng mit ihm zusammengearbeitet. Begeistert schüttelten sie sich die Hände. Bill war erleichtert, ein bekanntes Gesicht zu sehen, jemanden zu treffen, der Englisch sprach.
Neghabat war überrascht. »Warum sind Sie denn hier?«
Paul zuckte die Achseln. »Und ich hatte schon gehofft, daß Sie uns darüber etwas sagen könnten.«
»Aber wie lautet die Anklage gegen Sie?«
»Es gibt keine«, sagte Paul. »Gestern wurden wir von Mr. Dadgar verhört, dem Richter, der den Fall Ihresehemaligen Ministers, Dr. Scheik, untersucht. Er ließ uns verhaften. Keine Beschuldigungen, keine Anklage. Wir gelten als Zeugen, wenn wir es richtig verstanden haben.«
Bill sah sich um. Auf jeder Seite der Zelle standen zwei dreistöckige Betten und neben dem Fenster noch einmal, es gab also insgesamt achtzehn Schlafplätze. Genau wie unten waren auch hier die Kojen mit dünnen Schaumstoffmatratzen und grauen Wolldecken ausgerüstet, wobei die unterste nur aus einer Matratze auf dem nackten Boden bestand. Hier aber schienen einige Gefangene sogar Leintücher zu besitzen. Das Fenster, das sich gegenüber der Tür befand, gab den Blick auf den Hof frei, auf Rasen, Blumen und Bäume. Außerdem waren dort Autos abgestellt, von denen Bill annahm, daß sie den Wachleuten gehörten.
Neghabat stellte Paul und Bill ihren Zellengenossen vor, die freundlich und bei weitem weniger gemeingefährlich als die Gefangenen im Keller zu sein schienen. Es gab etliche unbelegte Kojen, und Paul und Bill entschieden sich für Schlafplätze rechts und links des Eingangs, Bill für eine mittlere Koje und Paul wiederum für den Fußboden.
Neghabat führte sie herum. Gleich neben ihrer Zelle gab es eine kleine Küche mit Tischen und Stühlen, in der die Gefangenen sich Tee oder Kaffee kochen oder ganz einfach nur herumsitzen und miteinander reden konnten. Aus unerfindlichen Gründen hieß es »Chattanooga Room«. Etwas weiter am Ende des Gangs war eine Luke in der Wand: Das war, wie Neghabat ihnen erklärte, ein
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