Auf den Schwingen des Adlers
kleiner Kiosk, an dem man ab und zu Seife, Handtücher und Zigaretten kaufen konnte.
Auf ihrem Rückweg über den langen Flur kamen sie an ihrer eigenen Zelle, der Nummer fünf, sowie an zwei weiteren vorüber, bevor sie eine große Halle erreichten. Der Raum, in den Bill beim Kommen einen kurzen Blick geworfen hatte, stellte sich als eine Mischung zwischenAufenthaltsraum für das Wachpersonal und Bibliothek heraus, in dem es Bücher sowohl in Englisch als auch in Farsi gab. Daneben lagen zwei weitere Zellen und gleich gegenüber der Waschraum mit Waschbecken, Duschen und Toiletten. Die Toiletten bestanden, wie in Persien üblich, aus einer Art Duschwanne mit einem Loch in der Mitte. Bill erfuhr, daß er wahrscheinlich nicht so bald in den Genuß der ersehnten Dusche kommen würde: Es gab nur selten heißes Wasser.
Auf der anderen Seite der Stahltür befand sich nach Neghabats Auskunft ein kleineres Büro, das bei Bedarf vom Arzt oder Zahnarzt als Behandlungsraum benutzt wurde. Die Bibliothek war durchgehend geöffnet, und der Fernseher lief den ganzen Abend. Natürlich wurde in Farsi gesendet. Zweimal pro Woche wurden die Insassen dieses Trakts in den Hof geführt, wo sie eine halbe Stunde im Kreis herumgingen, um sich ein bißchen Bewegung zu verschaffen. Rasieren war obligatorisch: Die Wachmänner ließen nur Schnurrbärte ungeschoren, Bärte waren nicht erlaubt.
Auf ihrem Rundgang begegneten sie zwei weiteren bekannten Gesichtern: Dr. Towliati, dem EDV-Berater des Ministeriums, über den Dadgar sie ausgefragt hatte, und Hussein Pascha, der einmal Neghabats Finanzexperte bei der Sozialversicherung gewesen war.
Paul und Bill bearbeiteten ihre Bartstoppeln mit dem Rasierer, den Sorenson und Jordan ihnen mitgebracht hatten. Dann war es Mittag und Zeit fürs Essen. Im Flur war eine kleine, mit einem Vorhang versehene Nische ausgespart. Dort holte sich jeder Gefangene eine Matte aus Linoleum, die auf den Zellenboden gelegt wurde, und ein einfaches Gedeck. Die Mahlzeit bestand aus gedünstetem Reis mit wenig Lammfleisch, aus Brot und Joghurt und dazu Tee oder Pepsi-Cola. Zum Essen setzten sie sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Für Paul und Bill, die beiden Feinschmecker, war es ein frugales Mahl.Trotzdem stellte Bill fest, daß er Hunger hatte, vielleicht, weil es hier einfach sauberer war.
Nach dem Mittagessen bekamen sie wieder Besuch, diesmal von ihren iranischen Anwälten, die jedoch keine Ahnung hatten, warum Paul und Bill verhaftet worden waren und was als nächstes passieren würde. Auch war ihnen unklar, was sie tun könnten, um den beiden zu helfen. Das Gespräch verlief planlos und war deprimierend. Paul und Bill trauten ihnen sowieso nicht, denn eben diese Rechtsanwälte waren es gewesen, die Lloyd Briggs gegenüber behauptet hatten, die Kaution werde nicht mehr als zwanzigtausend Dollar betragen.
Den Rest des Nachmittags verbrachten sie im Chattanooga Room und unterhielten sich mit Neghabat, Towliati und Pascha. Paul berichtete in allen Einzelheiten von ihrem Verhör durch Dadgar. Die drei Iraner interessierten sich insbesondere dafür, ob ihre Namen gefallen waren. Paul erzählte Dr. Towliati, daß sein Name im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen Interessenkonflikt genannt wurde. Towliati beschrieb, wie er selbst ebenfalls von Dadgar ausgefragt worden war, bevor man ihn ins Gefängnis werfen ließ. Paul erinnerte sich, daß Dadgar nach einem von Pascha verfaßten Memorandum gefragt hatte. Dabei war es um eine reine Routinesache für statistische Zwecke gegangen, und keiner hatte auch nur die geringste Ahnung, was daran Besonderes sein sollte.
Neghabat hatte seine eigene Theorie über die Gründe für ihre Verhaftung: »Der Schah braucht uns als Sündenböcke, um dem Volk zu beweisen, daß er die Korruption mit Stumpf und Stiel ausmerzt – aber er hat sich ein Projekt ausgesucht, bei dem es keine Korruption gab. Hier gibt es nichts auszumerzen. Aber wenn er uns frei läßt, gesteht er eine Schwäche ein. Hätte er doch nur die Bauindustrie genommen, da wäre er auf geradezu unglaubliche Korruption gestoßen ...«
Das waren nichts als Vermutungen undSchlußfolgerungen, und Paul und Bill wollten es genau wissen: Wer hatte die Säuberungsaktion angeordnet, warum hatte es das Gesundheitsministerium getroffen, welche Korruption sollte überhaupt vorgefallen sein, und wo waren die Denunzianten, die für ihre Inhaftierung verantwortlich waren? Neghabat wich ihren Fragen keinesfalls aus – er
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