Auf Den Schwingen Des Boesen
bisschen müde. War ein langer Tag.«
»Ich bring dich nach oben.«
»Gute Nacht, Ellie«, sagte Lauren.
»Gute Nacht. Vielen Dank, ihr beiden.« Ich winkte ihr und Nathaniel ein letztes Mal zu und verließ mit Will die Küche. Er schnappte sich meine Reisetasche und nahm sie mit nach oben. Als er mich in sein Zimmer führte, biss ich mir nervös auf die Lippe.
»Du kannst hier schlafen«, bot er mir an und stellte meine Sachen neben den Nachttisch.
»Du brauchst mir nicht dein Bett zu überlassen«, sagte ich leise.
Er zuckte die Achseln. »Na ja, es gibt zwar ein Gästezimmer, aber das ist noch nicht hergerichtet, und ich will dich nicht warten lassen, bis du vor Erschöpfung zusammenbrichst. Außerdem hast du doch schon einmal hier geschlafen.«
Die Erinnerung trieb mir das Blut in die Wangen. Er schien meine Beschämung zu spüren und schaute zu Boden. Nach einem kurzen peinlichen Moment ging er zur Tür.
»Ich lass dich jetzt allein. Dann kannst du dich umziehen und schlafen.«
»Warte, Will.« Ich legte ihm die Hand auf die Brust und hätte ihn am liebsten gebeten zu bleiben, brachte es aber nicht über die Lippen. »Fühlst du immer Schmerzen, wenn ich welche habe?«
Sein Körper erstarrte, und er wandte den Blick ab. »Das solltest du nicht wissen.«
Mein Herz wurde schwer. »Aber es ist so, nicht wahr? Ich habe es gesehen … auf der Bowlingbahn. Wie konntest du mir das so lange verheimlichen? Warum?«
Er sah mich wieder an. »Ich spüre es nicht immer, wenn du körperliche Schmerzen hast. Am meisten tut es mir weh, wenn der Schmerz in deinem Herzen ist.«
Ich schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. »Ich kann nicht fassen, wie viele Schmerzen ich dir in all der Zeit bereitet habe.«
»Einiges tut mehr weh als das, was mein Körper empfindet«, sagte er sanft. »Schmerzen machen mir nichts aus. Ich kann eine Menge ertragen.«
Mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich an seinen Körper, und er schlang die Arme um mich. Als er mein Haar küsste, brach das zurückgehaltene Schluchzen aus mir heraus. »Ich habe dich nicht verdient«, sagte ich und verbarg das Gesicht an seiner Brust.
»Das darfst du nicht sagen.« Er wich ein Stück zurück und umschloss mein Gesicht mit den Händen. »Schlaf jetzt. Bis morgen früh. Gute Nacht, Ellie.«
»Gute Nacht.«
Sobald er die Tür hinter sich zugezogen hatte, setzte ich mich auf die Bettkante. Nach all dem Gerenne, das ich hinter mir hatte, war ich endlich bereit, mich auszuruhen.
ZWEIUNDZWANZIG
A m nächsten Morgen hatte ich jede Menge verpasste Anrufe von meinen Freunden und Nana auf dem Handy. Ich schrieb nur eine einzige SMS an Nana und ließ sie wissen, dass es mir gut ging. Dann schaltete ich das Handy aus. Alle suchten nach mir, aber ich wollte nicht gefunden werden. Irgendwann musste ich dem Rest der Welt wieder entgegentreten, doch daran mochte ich fürs Erste gar nicht denken. Noch war ich nicht bereit, mich dem realen Leben ohne meine Eltern zu stellen.
Ich quälte mich aus dem Bett und huschte durch den Flur. Aus dem Arbeitszimmer waren Stimmen zu hören, und ich spähte durch den offenen Türspalt. Lauren lehnte an dem großen Eichenschreibtisch vor dem Erkerfenster, und Nathaniel stand neben ihr und stützte sich auf die Schreibtischplatte. Beide machten ein ernstes Gesicht, wobei Nathaniel ein wenig gequälter wirkte als Lauren.
»Ich weiß nicht, was du von mir erwartest«, sagte er. In seiner Stimme schwang keinerlei Härte mit, und nichts deutete darauf hin, dass sie gestritten hatten. Wenn überhaupt, dann wirkten beide sehr traurig.
In Laurens Gesicht spiegelte sich Enttäuschung, und sie schien emotional erschöpft. »Ich weiß einfach nicht, wie es mit uns weitergehen soll.«
»Wir werden nicht so enden«, sagte er. »Das verspreche ich dir.«
Sie lächelte wehmütig. »Das kannst du nicht versprechen.«
»Ich liebe dich«, hauchte er und berührte ihre Wange. »Das ist alles, was zählt.«
»Du bist so lieb zu mir«, sagte sie und fasste nach seiner Hand. »Aber das ist nicht alles, was zählt, und das weißt du. Du hast gesehen, was Will seit Jahrhunderten durchmachen muss. Lüg mich nicht an. Du sollst wegen mir nicht so leiden.«
Sein Blick wurde unstet, aber er blieb ruhig. Ein paar seiner kupferfarbenen Locken fielen ihm in die Stirn.
»Willst du das wirklich auf dich nehmen?«, fragte sie. »Ich gehöre nicht hierher, und das weißt du.«
»Ich weiß «, sagte er eindringlich und schlang seinen Arm um sie,
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