Auf Den Schwingen Des Boesen
riss an meinen Ketten, aber ich hatte der Macht, die mich bannte, nichts entgegenzusetzen. Ich war nicht in der Lage, Emma vor dem grauenhaften Schicksal zu bewahren, das die Dämonischen für sie aushecken mochten.
»Bitte!«, schrie ich die Reaper an. »Bitte tut ihr nicht weh! Sie ist nur ein unschuldiges Mädchen! Nehmt mich. Bitte nehmt mich stattdessen, bitte!«
Merodach umkrallte Emmas Nacken und schleuderte sie zu Boden, als wollte er sie Sammael zum Fraß vorwerfen. Schnell wurde mir klar, dass er genau dies vorhatte.
»Nein!«, schrie ich. »Tötet sie nicht! Bitte nehmt meine Seele! Lasst das Mädchen in Ruhe!«
Lilith wandte sich mir zu. Das Blut gefror mir in den Adern. »Schweig! Deine Zeit wird kommen.«
Emma wehrte sich nicht mehr. Sie hatte angefangen zu schluchzen, ihr Körper war erschlafft, und die Füße schleiften über den Boden, als der Reaper sie Sammael darbot. Der gefallene Todesengel streckte die Arme aus, doch statt das Mädchen zu ergreifen, beschwor er aus dem Nichts einen länglichen Gegenstand herauf, auf dieselbe Weise, wie ich meine Schwerter herbeirief. Durch die schimmernde Luft erkannte ich das Ding in seinen Händen: eine Sense. Die Waffe war riesig; der lange Stiel war so dick wie mein Unterarm und mit Knochenstücken, Fell und Haaren sowie menschlichen und tierischen Zähnen verziert. Ein menschlicher Schädel befand sich am Ansatz des gewaltigen geschwungenen Sensenblatts, das mit den hoffnungslosen Augen der seelenlosen Verdammten besetzt war. Die Augen blinzelten und starrten das wimmernde Mädchen vor Sammael an. Dann wurde die Sense – von der Klingenspitze bis zum Stielende – von schwarzen und blauen Flammen umzüngelt; Obsidian und Mitternacht. Dämonenfeuer.
Bevor ich irgendetwas sagen oder tun konnte, ließ Sammael die Sense von oben nach unten durch Emmas Körper gleiten, als wäre er aus Butter. Ich kreischte entsetzt auf, als Emma ihre Todesqualen herausschrie und ihre Augen nach hinten rollten, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Mir drehte sich der Magen um, doch ich konnte mich nicht übergeben. Ich konnte nichts weiter tun, als auf das Grauen vor meinen Augen zu starren. Trotz des gewaltigen Hiebs gab es kein Blut und keine Wunde, als wäre die Klinge nicht durch einen Menschen, sondern durch einen Geist gefahren. Langsam hob Sammael die Sense an. In diesem Moment sah ich etwas, das zwischen der Klinge und Emmas Körper hing – etwas Silbriges, Glibberiges. Als Emmas Körper erschlaffte, dachte ich, ihre Qualen seien vorüber. Ein Fünkchen Hoffnung flammte in mir auf, bis ich erkannte, was das silbrig blaue Ding war, das sich nicht von ihrem Körper lösen wollte. Es war ihre Seele.
Ein Gesicht materialisierte sich in der unruhigen Masse zwischen Sammaels Seelensense und dem Körper des Mädchens. Emmas Gesicht. Ein perfektes Abbild ihres wunderschönen Gesichts, in Todesangst erstarrt, wie aus geisterhaftem Lehm geformt, war in der wogenden Form ihrer Seele zu erkennen, und schlaffe Gliedmaßen begannen zu wachsen, aber gleichzeitig schlangen sich Fadenstränge um Emmas Körper und versuchten ihn von der Klinge zu befreien. Doch dann packte Sammael Emmas Seele kurzerhand, riss sie hoch und öffnete seine bläulichen Lippen. Mit einem tiefen Atemzug saugte er Emmas Seele in seinen Mund, bis ihr letzter silbriger Schimmer verschwunden war. Ich schluchzte hysterisch auf, während Emmas toter Körper wie ein schlaffer Sack zu Boden sank.
Mit einem Schlag wurde mir klar, dass alles vorbei war. Nathaniel war tot. Will aller Wahrscheinlichkeit nach auch. Ich war angekettet in einem Raum mit lauter dämonischen Reapern und zwei Gefallenen und sah keinen anderen Ausweg, als aufzugeben. Hilflos stemmte ich mich gegen das Bollwerk des henochischen Bannzaubers, der meine Macht unterdrückte.
Dann kamen mir Wills Worte in den Sinn: »Hör niemals auf zu kämpfen.«
Ich durfte nicht aufhören zu kämpfen. Ich durfte meine alterslose Existenz nicht beenden, indem ich mich hilflos geschlagen gab. Ich war immer im Kampf gestorben, und ich würde auch im Kampf enden. Wenn dies das Ende war, würde ich mich mit aller Kraft dagegen stemmen, machtlos und angekettet vernichtet zu werden. Ich war Gabriel, die linke Hand Gottes. Ich war eine Kriegerin.
Ich unterdrückte meine Tränen, als Sammael um Emmas Leiche herumging und mit erhobener Sense auf mich zukam.
»Es tut mir leid, dass ich das tun muss, Schwester«, sagte er. »Aber alle Engel müssen sterben, vor
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