Auf Den Schwingen Des Boesen
schreckliche Angst um dich.«
Ich schluckte die aufkommenden Tränen hinunter und sagte die ehrlichsten Sätze, die ich seit meinem siebzehnten Geburtstag ausgesprochen hatte. »Es tut mir leid, Mom. Ich weiß einfach nicht, was ich tue. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und wohin ich gehe.«
Sie schloss mich zärtlich in die Arme. »Ich weiß, Kleines. Das geht allen so in deinem Alter. Du musst herausfinden, wer du bist und wer die richtigen Leute sind, mit denen du dein Leben teilen willst.«
»Das ist es ja«, sagte ich und ließ den Tränen freien Lauf. »Ich habe herausgefunden, wer ich bin, aber ich kann es nicht glauben. Ich komme einfach nicht damit klar. Ich kann die Verantwortung nicht tragen, sie macht mich fertig.«
»Mein kleiner Schatz«, sagte meine Mom und strich mir tröstend übers Haar. »Ich weiß, es macht Angst, erwachsen zu werden, aber das müssen wir alle.«
Ich nicht. So weit kam ich ja nie. Ich wich ein Stück zurück und zwang mich sie anzusehen. »Danke, Mom.«
»Ich mach nur meinen Job«, sagte sie gequält.
»Ist es okay, wenn ich heute in meinem Zimmer bleibe?«, fragte ich. »Ich würde gern eine Weile allein sein.«
»Wird es langsam ernst mit Will?«
Ich hätte fast gelacht. Der Laut, der stattdessen über meine Lippen kam, klang kalt und bitter. »Kommt drauf an, wie man es sieht.«
»Du weißt, dass du mich jederzeit um Rat bitten kannst, wenn es in einer ganz bestimmten Beziehung ernst werden sollte. Du kannst über alles mit mir reden.«
Ich zwang mich zu lächeln und wünschte, dass es so wäre. Einen Moment lang wollte ich ihr alles erzählen. Was in der vergangenen Nacht tatsächlich passiert war, wer Will in Wirklichkeit war, wer ich in Wirklichkeit war. Sie würde mich augenblicklich in die Psychiatrie einweisen lassen, aber zumindest müsste ich dann nicht mehr lügen. »Okay.«
»Zum Mittagessen kommst du aber nach unten. Schließlich hast du nur Hausarrest und sollst nicht verhungern.«
»Okay.« Ich rieb mir die Stirn und sah ihr nach, wie sie mein Zimmer verließ. Mit einem Mal spürte ich, dass ich über vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte, und wollte nur noch ins Bett.
Noch bevor er aus dem Limbus heraustrat, spürte ich ihn, wurde umfangen von seinem schmerzlich vertrauten Geruch und seiner Nähe. Wie aus dem Nichts tauchte seine Hand auf und umfasste meinen Arm. Ich wehrte ihn nicht ab. Er zog mich an sich und tastete mit sanften Berührungen meinen Hals und mein Gesicht nach Verletzungen ab. Beim Anblick der Kratzspuren verhärtete sich der Blick seiner neongrünen Augen.
»Ich bring ihn um«, knurrte er und schluckte den Zorn herunter, der wie ein Feuer in ihm loderte. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt, dennoch berührte er mich so behutsam, als sei meine Haut aus Glas. Es war fast unheimlich, wie es ihm gelang, seine widerstreitenden Gefühle unter Kontrolle zu halten.
»Nein«, sagte ich nüchtern. »Er ist immer noch mein Vater. Wenn ich seinen Tod will, werde ich es selbst tun.«
»Das ist mir egal. Keiner darf dich ungestraft so verletzen.«
»Er ist ein Mensch.«
»Er ist ein Ungeheuer.«
Wenn ich es erlaubt hätte, wäre er ohne Zweifel auf meinen Dad losgegangen. »Du kannst mich nicht vor allem beschützen«, sagte ich sanft.
»Doch, das kann ich.« Seine Schultern entspannten sich, und er holte tief Luft. Er strich mit dem Daumen über meine Wange, um die Tränen wegzuwischen. Bei seiner Berührung schloss ich die Augen, sog seine Zärtlichkeit in mich auf und verdrängte die Misshandlung, die ich gerade erlitten hatte. Ich genoss das Gefühl der Geborgenheit, schmiegte mich an seinen Körper und schlang die Arme um seinen Rücken, um ihn ganz fest an mich zu drücken. Ich legte das Gesicht an seine Brust, und seine Wange berührte mein Haar. Er hob mein Gesicht an, um meine Schläfe zu küssen. Seine Lippen glitten über meine Haut, und dann küsste er meine Wange. Ich zog ihn an mich und wartete darauf, dass seine Lippen meinen Mund berührten, doch er hielt inne und ließ die Arme hängen.
»Ich darf das nicht«, sagte er matt, während sein warmer Atem meine Wange streifte.
Ich schloss die Augen und spürte, wie mir eine weitere Träne über die Wange lief. Er ließ meine Hand los, und als ich die Augen wieder öffnete, hatte er sich schon mehrere Schritte von mir entfernt.
»Wenn ich zu weit gehe«, sagte er, »kann ich dich nicht länger beschützen, weil Michael mich töten wird.«
»Es ist längst zu
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