Auf Den Schwingen Des Boesen
Ich kann nicht einen Abend freinehmen.«
»Nun ja, ich möchte ehrlich gesagt nicht, dass du mitkommst.«
Seine Lippen öffneten sich leicht, und der traurige Blick seiner Augen war schwer zu ertragen. »Aber ich muss«, sagte er.
»Nein, musst du nicht«, beharrte ich. »Und ich möchte es nicht. Ich geh mit Kate auf eine Collegeparty.« Ich drehte ihm den Rücken zu, um ein Outfit für den Abend auszuwählen.
»Was soll ich tun?«
»Keine Ahnung. Häng doch ein bisschen mit Nathaniel ab. Bring ein paar Monster um.«
»Ich mein’s ernst, Ellie.«
Ich kam mit einem Arm voller Sachen aus dem begehbaren Schrank und erschrak, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. Ich biss die Zähne zusammen, ging zum Bett und schob die Sachen in meine Reisetasche. »Ich mein’s auch ernst«, sagte ich. »Kann ich nicht mal einen Abend für mich haben? Ich möchte mal wieder ich selbst sein.«
Er packte meinen Arm und hielt mich auf. Ich schaute zuerst auf seine Hand und dann in sein Gesicht. Seine Haut fühlte sich warm an, fast als wäre sie elektrisch aufgeladen. »Aber ich kenne dich. Das hier bist du. Das hier bist du immer gewesen.«
Ich entzog ihm meinen Arm und wandte den Blick ab. »Vielleicht habe ich mich ja verändert.«
Er zögerte, und die Stille war unerträglich. »Es ist gefährlich, wenn du mit anderen Leuten zusammen bist, für die anderen. Du hast doch gesehen, was bei dem Kampf gegen Orek passiert ist.«
»Ich will nicht als Einsiedler leben.«
»Du bist eine Zielscheibe«, sagte er. »Dadurch werden deine Familie und deine Freunde ebenfalls zur Zielscheibe. Ich will nicht, dass ihnen oder dir etwas zustößt.«
»Was sagst du da? Ich kann sie doch nicht verlassen.«
»Vielleicht musst du das eines Tages.«
Ich sah ihn fassungslos an und fühlte Zorn in mir hochkochen. »Das kann ich nicht. Sie geben mir das Gefühl, ein Mensch zu sein. Wenn ich sie verliere, verliere ich mich selbst und bin ganz allein.«
Er ließ die Schultern hängen. »Du wirst mich haben.«
»Ich brauche mehr als dich, Will. Ich brauche auch meine Familie und Freunde.«
»Früher hast du verstanden, wie gefährlich es ist, Menschen in unsere Welt zu zerren. Du hast sie ferngehalten, um sie zu schützen.«
»So bin ich nicht mehr«, sagte ich kühl. »Dieses frühere Ich ist tausendmal gestorben.«
»Doch, das bist du. Ich verstehe ja, dass du diese Menschen liebst und in deinem Leben brauchst, aber du musst doch wissen, wie gefährlich deine Welt für sie ist.«
»Es war nicht meine Welt, bevor du aufgetaucht bist!«
»Ich kenne dich seit fünfhundert Jahren«, sagte er, indem er mir über die Wange strich und seine Finger in mein Haar flocht. »Ich kenne dich besser als irgendjemand anders, und sobald du dich wirklich an deine Identität erinnerst und richtig erwachst, wirst du es verstehen.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte ich und wich ein Stück zurück. »Aber ich kann mein Leben und die Menschen, die ich liebe, nicht einfach aufgeben.«
»Selbst wenn du sie in Gefahr bringst?«
»Ich werde sie beschützen«, sagte ich trotzig.
»Ellie, bitte sei nicht albern …«
Ich hielt die Hände hoch. »Nicht heute. Bitte. Ich brauch eine kleine Pause von dir.«
Er blinzelte verstört. »Aber ich bin dein Beschützer.«
»Du bist nicht mein Schatten.« Meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt. »Oder mein Babysitter. Mir ist klar geworden, dass sich bei mir was ändern muss. Ich brauche eine Pause.«
Die grünen Augen weit aufgerissen starrte er mich fassungslos an. »Wir haben keine Zeit für Pausen. Erst vor ein paar Tagen mussten wir über einer Straße voller Menschen gegen einen Nycteriden kämpfen. Im Internet kursieren jede Menge Videos. Die Welt steht kurz vor einer Veränderung oder vor ihrem Ende.«
»Ich sag dir, was ich momentan am meisten brauche. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Ich weiß, dass von mir erwartet wird, als furchtlose Kriegerin ohne Zögern draufloszudreschen, aber dazu hab ich keine Lust. Ich brauche jetzt einfach eine Auszeit.«
»Das ist eine schreckliche Idee.«
Ich hängte mir die Reisetasche über die Schulter und steckte mein Portemonnaie ein, bevor ich mich ein letztes Mal zu ihm umdrehte. »Das mag sein, oder auch nicht. Ich kann dich da nicht gebrauchen. Wenn du kommst, bin ich stinksauer.«
»Bitte tu das nicht. Geh nicht ohne mich.«
»Auf Wiedersehen, Will«, sagte ich. »Bis morgen. Dann gehen wir wieder auf Patrouille, okay?«
Er presste die Lippen zusammen,
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