Auf den zweiten Blick
andererseits hatte sie auch nicht nach ihm gesucht. Er trug eine wollene Bordjacke mit hochgeschlagenem Kragen, die viel zu warm für diesen Tag war. Er hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Augen hinter einer Pilotensonnenbrille versteckt.
Alex sah Cassie an und nahm die Sonnenbrille ab. Er steckte sie in die Brusttasche seiner Bordjacke. Cassie brachte nicht die Kraft auf, den Blick von ihm zu reißen. Er war nicht wütend. Kein bißchen. Fast als würde er verstehen. Sie hielt den Atem an, bedachte noch einmal, was ihr entgangen war, was er ihr zu sagen versuchte.
»Die letzte Frage«, flüsterte sie, den Blick fest auf Alex gerichtet. Warum so? Warum jetzt? Warum wir?
Unsicher deutete sie auf einen Mann in der ersten Reihe des Konferenzraumes. »Wenn Sie ihm jetzt etwas sagen könnten«, fragte der Reporter, »ohne daß Sie irgendwelche Konsequenzen fürchten müßten, was würden Sie ihn wissen lassen wollen?«
Sie glaubte, Tränen in Alex’ Augen zu erkennen, und seine Hand hob sich langsam, als wolle er sie nach ihr ausstrecken. Nicht, flehte Cassie insgeheim. Sonst könnte ich dir folgen. Und einfach so sank sein Arm wieder herab, strichen die Finger über die rauhe Wolle der Jacke. »Ich würde ihm sagen, was er immer zu mir gesagt hat«, flüsterte Cassie ihm zu. »Ich wollte dir nie weh tun.«
Sie schloß die Augen, um sich zu sammeln, bevor sie die Presseleute entließ, die auf ihre Bitte hin gekommen waren. Als sie die Augen wieder öffnete, starrte sie immer noch auf den Fleck, wo noch vor Sekunden Alex gestanden hatte. Er war nicht mehr da. Sie schüttelte den Kopf, wie um ihn freizubekommen, und fragte sich, ob er tatsächlich dagewesen war.
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich vom Podium ab und stopfte sich die Bluse wieder in den Rock. Die Reporter fotografierten und filmten weiter: wie sie den Konferenzraum verließ, ihr Baby nahm, sich die Wickeltasche über die Schulter hängte, hölzern aus dem Raum stolperte.
Als sie durch den rotsamtenen Empfang schritt, begannen sich die Leute nach ihr umzudrehen. Sie schob sich durch die Drehtür, trat auf den Gehsteig und trank die frische Luft mit großen, gierigen Schlucken.
Ich hab’s getan, ich hab’s getan, ich hab’s getan. Ihre Absätze trommelten den Refrain auf den Zement, während sie zur Straßenecke ging. Sie marschierte schnell, als komme sie zu spät zu einer wichtigen Verabredung. Zur Essenszeit lebte die Innenstadt von L. A. auf. An der Straßenecke drückte Cassie Connor an ihre Brust, während Geschäftsleute, Fahrradboten und schöne Frauen mit Einkaufstüten an ihnen vorbeihasteten.
Es gab eigentlich keinen besonderen Grund, warum sie aufschaute. Kein Geräusch, keinen Lichtstrahl, keine Eingebung. Aber genau in diesem Augenblick schnitt ein kreisender Adler durch die Hitze und den Smog über der Stadt. Sie wartete darauf, daß jemand in den Himmel deutete, daß jemand außer ihr den Vogel bemerkte, aber die Menschen drängten und schoben sich an ihr vorbei, vollkommen von ihrem eigenen Leben in Anspruch genommen.
Sie legte Connors Kopf zurück, damit auch er ihn sehen konnte.
Cassie schirmte ihre Augen ab und schaute dem Vogel nach, als er nach Osten abdrehte. Noch lange nachdem er verschwunden war, starrte sie in den grenzenlosen Himmel; und selbst als das Menschengedränge um sie herum schneller und immer dichter wurde, blieb ihr Schritt fest und sicher.
Danksagung
Viele haben die Recherchen zu diesem Buch möglich gemacht: Arlene Stevens, CSW und Executive Director der Response-Hot- line in Suffolk County, N. Y.; Brenda Franklin von Yorktown Productions; Doug Ornstein, ehemals Assistant Director*; Keith Willis; Sally Smith; Ina Gravitz; Dr. James Umlas**; Victor A. Douville, Professor für die Sprache und Kultur der Lakota an der Sinte Gleska University. Für verschiedene Hilfeleistungen danke ich auch Tim van Leer, Jon Picoult, Jane und Myron Picoult, Kathleen Desmond, Cindy Lao Gitter, Mary Morris, Laura Gross und Laura Yorke. Mein besonderer Dank schließlich gilt Jean Arnett.
* bei Warner Brothers ** Dr. Richard Stone
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