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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Film, der für mich zu der Hand voll Filme gehört, die mich prägen sollten, zusammen mit Baumgärtel, meinem Freund, auch einem Studenten, gesehen habe. Wir haben uns oft im Amerika-Haus und dessen Bibliothek getroffen, wo wir uns über Hemingway und Chandler und Dashiel Hammett unterhielten und auch über Ben Hecht – und damit auch zwangsläufig über McCarthy und den Kongress-Ausschuss über »unamerikanische Umtriebe«. Es war die Hoch-Zeit des Kalten Krieges mit ihrer fast schizophrenen Furcht vor fünften Kolonnen, Atomspionage, der Unterwanderung Amerikas durch fellow-travellers des Kommunismus.
    Ein paar Tage nach dem Kinobesuch traf ich Baumgärtel, der vor kurzem von einem Fulbright-Stipendium aus den USA zurückgekehrt war, auf der Tübinger Neckarbrücke. Er und ein anderer Student, der einige Zeit bei seiner (von seinem Vater geschiedenen) Mutter in Südafrika verbracht hatte, unterhielten sich über die Zweideutigkeit englisch-amerikanischer Verkehrsbezeichnungen, und ich, ein absolut provinzielles Greenhorn, hörte mit aufgerissenem Mund zu, während wir gemeinsam zur Mensa gingen. Von »dangerous curves«, ha, ha, ha, gefährlichen Kurven, erzählten sich die beiden Globetrotter. Oder von »soft Shoulders« (weichen Schultern) – was unbefestigte Bankette hieß.
    Von da an traf ich den Studenten aus Südafrika, der mir, wie Baumgärtel, um einige Semester voraus war, oft abends in Kneipen, wo wir mit seinen Schwäbisch-Haller Freunden tranken, uns Witze erzählten und ich mein erstes Walfischsteak aß. Es war Oliver Storz. Sein Vater, hochgebildeter Rektor des humanistischen Gymnasiums in Schwäbisch Hall, war um 1960 Kultusminister von Baden-Württemberg.
    Oliver Storz war in den späten fünfziger Jahren Kulturredakteur bei der »Stuttgarter Zeitung«, ein begnadet süffiger Schreiber. Wir haben zur gleichen Zeit die Schiller-Rede von Thomas Mann gehört, er als Redakteur im Theater, ich als Student im Radio, in der der kühl-ironische Thomas Mann fast mit Wärme von Schillers Dramen als einer Art »höheren Indianerspielens« sprach und mit großer Bewegtheit das Vermächtnis des Marquis Posa im »Don Carlos« an seinen Freund, den Infanten Carlos, zitierte: »Sagen sie ihm, dass er für die Träume seiner Jugend / Soll Achtung tragen, wenn er ein Mann sein wird.« Ich habe diese Sätze und die Rührung, mit der sie der alte Thomas Mann zitierte, nie wieder vergessen – und sie manchmal auch zu leben versucht, manchmal. Und manchmal als Entschuldigung benutzt für Kindsköpfigkeit, um nicht zu sagen: Infantilität.
    Als Oliver, Jahre später, von der »Stuttgarter Zeitung« nach München zur »Bavaria« ging (die damals progressivste TV-Produktionsanstalt), da hat er mich als Redakteur und Nachfolger empfohlen, nachdem ich ihm und seiner Zeitung vorher einen Essay über eine Studie des amerikanischen Gangsters für die Wochenendbeilage geschrieben hatte. Und ich kann den schönen Zufall nicht vergessen, der mich über Hitchcocks »Notorious«, die »soft Shoulders« auf südafrikanischen Verkehrsschildern, die Schiller-Rede Thomas Manns zur »Stuttgarter Zeitung« geführt hat. Und zu wichtigen Freunden der Stuttgarter Jahre. Ohne Oliver Storz hätte ich weder den Fotografen Wolf Strache oder Karo Schumacher getroffen, noch den genialen Design-Lehrer Kurt Weidemann.
     
     
     
    Exil im Sauerland
     
    1959 kam ich nach Brilon, ins »gebürgichte Westphalen«, wie es in Annette von Droste-Hülshoffs Novelle »Die Juden buche« heißt, ins Sauerland. Warum? Zufall? Schicksal? Kismet? Gut gelaufen, dumm gelaufen? Die »Vorsehung«, in deren Namen Hitler den ganzen Kontinent in Schutt und Asche gelegt hatte, gab es ja nicht mehr.
    Nach meiner Promotion hatte ich mich – der Wunsch, mich weiter für das »höhere Lehramt« ausbilden zu lassen, war, mit Blick auf eine mir grau erscheinende Beamtenlaufbahn, gering entwickelt – unter anderem in München, beim Verlag der »Süddeutschen Zeitung« und der »Abendzeitung«, um ein Volontariat oder eine Redakteursstelle beworben. Ich wusste nicht viel von den Wegen, die in den »Journalismus« führen; was ich wusste, war: Ich wollte Journalist werden, warum auch immer und was auch immer das für ein Beruf war.
    Viele Jahre später (es muss 1987 oder 1988 gewesen sein) hat mir Billy Wilder erzählt, warum er Journalist werden wollte; ich glaube, unsere Motive waren sich ziemlich gleich. Er hatte in Wochenschauen und Filmen Journalisten gesehen, wie

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