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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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sie, mit Hüten, hinter deren Band ihr Presseausweis steckte, an der Reeling von Welthäfen wie Hamburg, London oder Amsterdam standen, den Notizblock gezückt, und Schauspieler erwarteten. Weltstars, die von Hollywood ins gute, alte Europa kamen oder vom guten alten Europa nach Hollywood aufbrachen. Und der junge Billy Wilder sah sich mittendrin. Er, der Journalist, der alle diese Stars interviewen durfte – gnadenlos! – und sich dabei in ihrem Glanz sonnen konnte.
    In der Tat hat Wilder damals, 1926, Glück gehabt: Paul Whiteman kam nach Wien, Wilder interviewte ihn und folgte ihm nach Berlin, zu dem berühmten Paul-Whiteman-Konzert im Großen Schauspielhaus, bei dem Wilder Gershwins »Rhapsody in Blue« hörte. Ich hörte das Stück 1952, als Flüchtling in West-Berlin unter dem Funkturm, und entschied mich noch spontan, während des Konzerts, für die westliche Lebensform, natürlich ohne mir dessen bewusst zu sein.
    Was für Folgen so eine Veranstaltung haben kann, wird deutlich, wenn man sich die folgende Geschichte vor Augen hält: Der junge Journalist Wilder lernt während des Berliner Konzerts den Jazzgeiger Matty Malneck kennen; die beiden werden schnell Freunde und sitzen oft zusammen im legendären Aschinger, wo sie während der paar Tage des Whiteman-Gastspiels manches Schultheiss-Bier miteinander trinken. Zweiunddreißig Jahre später verwendet Wilder für seinen Film »Some like it hot« zwei Titel von Matty Malneck: »Let's build a stairway to the stars« in der Szene, in der Marilyn Monroe Tony Curtis als falschen Millionär verführt, und das untrennbar mit Marilyn Monroe verbundene Lied »I'm thru' with love«.
    Für Wilder, Sohn eines jüdischen Vaters, der mal als Bahnhofsgastwirt an der Strecke Wien-Krakau Karriere machte, mal als Forellenzüchter (sein Sohn: »er verstand nichts von Fischen«), mal als Uhren-Vertreter (sein Sohn: »er verstand noch weniger von Schweizer Uhren«) eine Pleite nach der anderen hinlegte und vom vornehmen 1. Bezirk in Wien mit seiner Familie in weniger vornehme Wohnungen und Viertel ziehen musste, für Wilder also bedeutete der Beruf des Journalisten den Ausstieg aus der kleinbürgerlichen Katastrophe – eine Chance, die er mit seinem Witz und Grips nutzen konnte und auch nutzte.
    Für mich, Flüchtling und Habenichts in der langsam und immer schneller prosperierenden Bundesrepublik nach 1952, gab es eine ähnliche Chance, die ich ähnlich instinktiv wahrnahm. Ich stammte wie Wilder – und dies ist die einzige Parallele – aus Kleinbürgerverhältnissen. Oder besser: Meine Familie war, nach der deutschen Katastrophe zwischen 1933 und 1945, ins kleinbürgerliche Leben gewürfelt worden. Wie er, wie Billy Wilder, nach der Katastrophe von 1918.
    Hitler war für ihn wie für mich Schicksal und Chance – oder, zutreffender und weniger pathetisch gesagt: der bedrohliche und glückliche Zufall. Ihn, den galizischen Juden, vertrieb Hitler aus Deutschland – aber dorthin, wo er wegen seiner Wünsche, seiner Begabungen ohnehin wollte: nach Hollywood. Mich, das Nazi-Kind, der ich mich nach 1945 immer nach Amerika, nach dem Westen gesehnt hatte, trieb der Zufall, dass der Sowjetunion nach dem Krieg Sachsen und Sachsen-Anhalt zufielen, in den Osten. Auch ich ahnte als in die Mittellosigkeit geschleuderter Kleinbürger, dass die Heimat der Heimatlosen die Zeitung war. Eine kosmopolitische Institution, in der man nach oben konnte – und dabei auch noch etwas bewirken wollte; Journalisten sind Idealisten und Karrieristen zugleich. Sie wollen an der »großen Welt« (oder das, was sie dafür halten) teilhaben. Aber möglichst dabei noch »Gutes« tun. Von dem »Guten« hatte ich vage Begriffe. Gut war es, gegen den schlechten Geschmack zu schreiben, für die Zivilisation, gegen die Barbarei. Umschließt das das nüchterne Motto der »New York Times«, das »all news fit to print« verspricht?
    Ich wollte also Journalist werden, natürlich auch, um die Großen dieser Welt zu interviewen, sprechen, kritisieren und bewundern zu können, als Teilhaber ihrer Welt; nicht als stiller Teilhaber, sondern als lärmender.
    Ich hatte mich also bei der »Süddeutschen Zeitung« beworben und erhielt eine Einladung für einen Wettbewerb zur Aufnahme beim »Werner-Friedmann-Institut«. Das Werner-Friedmann-Institut, eine Stiftung des Süddeutschen Verlags, war eine Münchener Journalistenschule, damals die erste und einzige ihrer Art, in die man per Auslesewettstreit aufgenommen werden

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