Auf der Flucht
(vereinfacht: der Wunsch nach Cola und Jeans), der den finster lebensfeindlichen Pseudo-Idealismus der kommunistischen Herrschaftsideologie überwand – so sehr stand er im Moment im Unrecht. Im Schatten der Mauer.
Dabei war es nicht so schlimm, dass sich die Dreharbeiten verzögerten und verteuerten.
Schlimmer war, dass Wilder sich auf sein Gespür für Europa, für den Zeitgeist, nicht mehr verlassen konnte. Vor »Eins, zwei, drei« war er auf der Höhe seines Ruhmes. Er hatte 1959 mit »Manche mögen's heiß« seine, nein unser aller schönste Filmklamotten-Klamotte gedreht, voll von atemberaubendem komischem Tempo und gleichzeitig scharfsichtig in ihren Einsichten über Maskeraden der Geschlechter, und um 1960 seine moralische Komödie »Das Appartement« (über die sich ein wahrer Oscar-Segen ergoss, drei Oscars, drei Nominierungen), in der er die sich auflösende Ehemoral jener Jahre exakt auf den Punkt des Karrieresex im Büro brachte, ohne deshalb weniger komisch zu sein.
Jetzt, nach dem Mauerbau, schien er viele seiner Fähigkeiten total verloren zu haben. Keiner seiner nächsten Filme fand ins Herz und in die Seele der Zeit zurück. Schon 1961 wollten die Zuschauer über nichts weniger lachen als über die Mauer, dieses schreckliche Zeugnis eines ausweglosen Konflikts. Nicht nur in Deutschland wurde es Wilder als »Geschmacklosigkeit«, also mangelndes Gespür, verübelt, dass er über unsere Leiden an der Teilung scheinbar billige Scherze und alberne Spaße machte.
Fünfundzwanzig Jahre später, 1986, wurde Billy Wilder acht zig Jahre alt. Und obwohl die Mauer, an der auch sein Film »Eins, zwei, drei« aufgelaufen war, erst drei Jahre später fallen sollte, waren die letzten Jahre vor dem Zusam menbruch des Kommunismus und der Auflösung des Ostblocks von einer seltsam widersprüchlichen Stimmung getragen: Einerseits protestierten die Linken gegen den Nato-Doppelbeschluss, an dem die Regierung Helmut Schmidt T982 gescheitert war und den Schmidts Nachfolger Helmut Kohl gegen heftige Proteste (Mutlangen, Friedensmärsche nach Bonn) unter schweren innenpolitischen Verwerfungen durchsetzen konnte. Andererseits verlor der »real existierende Sozialismus« allmählich sein ideologisch-martialisches Drohgesicht; er wurde nach und nach eher zu einer komischen Nummer – weniger für die unter seinem immer noch vorhandenen Druck Lebenden, mehr für die westlichen Beobachter – mit seinem gerontokratischen System, den vergreisten Männern aus den Politbüros, die man fast schon als das klapprige Personal einer proletarischen Operette ansah: etwa die sklerotischen Jagdherren der DDR.
In dieser Stimmung eroberte sich »Eins, zwei, drei« nach und nach als Kultfilm die Programmkinos. Ähnlich wie (und aus ganz anderen Motiven) bei der Rocky Horror Picture Show waren Vorstellungen monatelang ausverkauft, und die Besucher – meist Studenten – sprachen Zeilen mit, zum Beispiel den Befehl des amerikanischen Coca-Cola-Herrn in Berlin, der jeden Morgen seine im preußischen Drill strammstehenden Berliner Untertanen mit dem bellenden Satz: »Sitzen machen!« zu lässigerer Haltung kommandieren und umerziehen wollte.
Ein Film, der bei seiner Premiere 1961 völlig aus der Zeit gefallen zu sein schien, war auf einmal wieder voll auf der Höhe der Zeit. Zu spät für Billy Wilder, aber rechtzeitig für mich. Denn da ich seine Filme liebte, auch die, die er als Drehbuchautor für Lubitsch geschrieben hatte, schlug ich dem »Spiegel« vor, den Macher der verkannten Ost-West-Komödie für ein Interview zu besuchen. Da Rudolf Augstein sowohl meine Liebe zu Lubitschs »To Be or Nor to Be« (an dem Wilder allerdings nicht mitgeschrieben hatte) wie die zu »Some Like It Hot« teilte, hatten wir auch »One, Two, Three« begeistert zusammen (wieder) gesehen. So war es ein Leichtes, ihn von der Notwendigkeit dieser Interviewreise nach Hollywood zu überzeugen. Das Interview wurde ein Erfolg und meine Begegnung mit Wilder, um mit dem Ende von »Casablanca« zu sprechen, der »Beginn einer wunderbaren Freundschaft«. Weniger pathetisch: Wilder wurde kurz darauf zu einem Vortrag bei den »Berliner Begegnungen« eingeladen, und da er keine Lust zu dem Vortrag hatte, schlug er stattdessen ein öffentliches Interview mit mir vor, das wir dann auch im Berliner Renaissance-Theater als Matinee führten. Wir trafen uns also bald wieder.
Bei unserem Spaziergang über den Kudamm am folgenden Montag zeigte ich ihm in einer Buchhandlung
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