Auf der Flucht
DDR-Nostalgie (Zimmer stammte wie ich aus der DDR beziehungsweise aus Ostberlin) spielten wir immer wieder das Pfingstlied der FDJ – »Was machen wir zu Pfingsten, wenn die Wiesenblumen blühn? / Da fahrn wir nach Karl-Marx-Stadt über Autobahn und Schien«. Immer wieder, zwischen Biermann-Liedern, sangen wir das FDJ-Lied vom Pfingsttreffen mit der ironischen Erleichterung derjenigen, die das Pathos der DDR verlassen hatten, durch Republikflucht. Dieter E. Zimmer und ich wurden auch in Zeiten der Koexistenz nie zu Freunden der DDR, deren korrupte Elite wir beide, über ihr Ende hinaus, verachteten.
Was wir nicht wussten: dass Röhl sein halbpornografisches »Konkret« aus DDR-Geldern finanzierte. Was wir noch weniger wussten: dass seine Frau ihn und ihre Zwillingstöchter verlassen sollte, um in den Untergrund zu gehen. Sie war bei der Baader-Befreiung in Berlin dabei, als die Schüsse fielen, die einen Institutsangestellten schwer verletzten.
Das war im Mai 1970.
Während wir Journalisten noch darüber diskutierten, ob man »Baader-Meinhof-Gruppe« oder »Baader-Meinhof-Bande« sagen und schreiben solle, schälte sich nach der Gefangenenbefreiung aus dem »Deutschen Zentralinstitut für Sozialfragen« in Berlin-Dahlem heraus, wie sehr die linke Literaturszene mit den Aktionen der linken Desperados verbunden war, ohne deren Ziele und Aktionen zu rechtfertigen. Baader war festgenommen worden, als er zufällig in einem Auto fuhr, das auf den Namen des Autors Peter O. Chotjewitz zugelassen war. Chotjewitz war zu der Zeit Stipendiat der »Villa Massimo« in Rom, ein Autor, dem ich mich in der »Gruppe 47« wegen seiner ruppigen Witzigkeit und seinen parodistischen Texten (im Berlin-Roman »Bärenauge«) ziemlich nahe fühlte. Der Verleger Klaus Wagenbach hatte mit Baader einen Vertrag über ein Buch gemacht, das ihm nun als Vorwand für die »Ausführung« in das Institut gedient hatte. Bei der »Zeit« fühlte sich der stellvertretende Chefredakteur Theo Sommer verpflichtet, uns Redakteuren ins Gewissen zu reden: Es sei keineswegs ein »Kavaliersdelikt«, wenn wir den in den Untergrund Abgetauchten Unterschlupf gewähren würden.
Am Tag der Geiselbefreiung von Mogadischu sah ich mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau die Fernseh aufzeichnung einer »Penthesilea«-Aufführung. Am späten Abend liefen Schriftzeilen über den Bildschirm. Die Geiseln an Bord der »Landshut« waren durch eine GSG-9-Truppe befreit worden.
Das war der Anfang vom Ende des deutschen Terrorismus. In Stammheim hatten Baader und Ensslin Selbstmord verübt. Schleyer war ermordet worden, ohne dass der Staat unter Kanzler Helmut Schmidt den erpresserischen Forderungen der Geiselnehmer nachgegeben hatte.
Begonnen hatte für mich alles damit, dass der Herausgeber der »Stuttgarter Zeitung« höchst eigenhändig – damals gab es noch Bleisatz – einen Artikel über die Berliner Studentenunruhen nach dem Schah-Besuch und über die sich formierende Apo aus dem Blatt gehoben hatte. Ich war an diesem Abend mit einem zeitungseigenen VW bei einer Ulmer Schauspielpremiere gewesen und erfuhr es nach meiner Rückkehr. Den Beitrag für mich hatte der junge Christoph Müller, Sohn und Erbe des »Schwäbischen Tagblatt«-Verlegers Ernst Müller, geschrieben, der damals beim Berliner »Tagesspiegel« volontierte. Er verlor seinen Job, ich kündigte wegen seines herausgeschmissenen Beitrags. Allerdings hatte ich gut kündigen. Die Kulturredaktion der »Zeit« hatte mir längst das Angebot gemacht, als Theaterkritiker nach Hamburg zu kommen.
Klaus Rainer Röhl wurde durch eine linke Palastrevolte – Mitbestimmungsdebatte hieß das damals – aus seinem Verleger-Sitz bei »Konkret« gekegelt. Er folgte Danae Coulmas nach Köln, als ihr Mann endgültig zum WDR ging. Als ein befreundeter Professor später Röhls Haus in Blankenese gemietet hatte, zeigte er mir den Keller dort. Da war ein Raum, in dem Röhl sich einen Schießstand aufgebaut hatte. Bevor Ulrike Meinhof Untergrundkämpferin der RAF wurde, haben sie und ihre Kämpfer das Haus einmal besetzt. Sie verwüsteten und verunreinigten vor allem das einst gemeinsame Schlafzimmer des Ehepaares Röhl-Meinhof.
»Eins, zwei, drei«
In den heißen ersten Augusttagen des Jahres 1961 drehte Billy Wilder in Berlin rund um das Brandenburger Tor seine als turbulenten Spaß geplante Ost-West-Komödie »Eins, zwei, drei«. Sein für ihn auch am Drehort unentbehrlicher Drehbuch-Co-Autor I.A.L.
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