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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Wilder mich 1993 in Berlin, als er das fertige erste deutsche Exemplar in den Händen hielt, in seiner Widmung in den Zirkel seiner Kollaborateure aufnahm:
    »Dear Hellmuth: now that it's all over, the blood, the sweat and the tears – let me thank you for the brilliant Job you did. I am very proud of my collaborator! With respect and admiration. Billy Wilder.« (Berlin '93)
    Das Wort »collaborator« ist nicht das einzige Wort, das aus dem Umfeld des Zweiten Weltkrieges stammt. »Blood, sweat und tears«, Blut, Schweiß und Tränen, die Billy Wilder als Mühen unserer Zusammenarbeit mit leiser Ironie zitiert, entstammen Churchills berühmter Rede, mit der er England auf den Krieg gegen Hitler-Deutschland einschwor.
    Als Wilder 1945 nach Deutschland kam, brachte er einen Dokumentarfilm mit, den er bearbeitet hatte. Es war der Film »Todesmühlen« von Hanus Burger, der nach der Befreiung in verschiedenen Konzentrationslagern gedreht worden war.
     
    Christie's
     
    Für mich, wie für Millionen andere, fiel die Mauer im Fernsehen. Ich hatte schon gepackt, weil ich am nächsten Morgen nach New York fliegen sollte. Billy Wilder, inzwischen dreiundachtzig Jahre alt, wollte Ordnung in seinem Haus machen und ließ bei Christie's in der 5th Avenue seine berühmte Gemäldesammlung versteigern. Dazu hatte er auch mich eingeladen. Ich saß also am späten Abend in Hamburg vor dem Fernseher, es gab eine Podiumsdiskussion mit Walter Momper, die schließlich unterbrochen wurde, weil es das Gerücht gab, die Mauer sei offen. In eingeblendeten Szenen sah man, wie Grenzpolizisten Ostberliner durchließen, einfach so. »Wahnsinn!« war der Slogan der Stunde, Momper stand auf, sagte mitten in der Diskussion, da passiere wohl etwas an der Grenze und da müsse er hin, Fernseh-Diskussion hin oder her.
    Schuld war ein etwas verwirrter Schabowski, Berliner SED-Sekretär, der im Fernsehen auf einer Pressekonferenz eine Verlautbarung über die Grenzöffnung verlesen hatte, sich im Gestrüpp der bürokratischen Sprache wie in einer sperrigen Grenzanlage verhedderte und auf Nachfragen, ob das denn sofort gelte, nach einem verwirrten Blickkontakt mit vor ihm sitzenden ZK-Mitgliedern, die auch etwas blöde grinsend (wie es Staatsmänner tun, wenn sie von Ereignissen überrollt werden) herumsaßen und zu den Verwirrungen von Schabowski schwiegen, unsicher, aber positiv antwortete.
    So gehen Epochen zu Ende. Eins, zwei, drei! Wahnsinn! Wieder war das Fernsehen dabei, Akteur und Berichterstatter der Aktion (»The medium is the message«) in einem. Tage zuvor hatte man Züge mit Ausreisewilligen durch die DDR fahren sehen, kurz darauf sollte das seltsame Wort »Begrüßungsgeld« aufkommen. Zum wiederholten Mal sah mich meine Frau in dieser Nacht mit Kopfschütteln an, mir liefen die Tränen aus den Augen. Obwohl das – »Wahnsinn« – gewissermaßen Tränen historischen Ausmaßes waren, wusste meine Frau, dass ich oft weine. Zum Beispiel bei jeder Mozart-Oper in Salzburg schon bei der Ouvertüre. Oder wenn Belmonte zu singen anhebt: »Hier soll ich sie nun sehen! Constanze!«
    Irgendwie habe ich das Ende der DDR eher auch in komischer Erinnerung, ich sehe noch, wieder im Fernsehen, Erich Honecker vor mir, wie er, ein Greis unter Greisen und Greisinnen (die alte Antifa-Garde in einem weinrot verstaubten Ambiente in Ostberlin) mit verschmitzt optimistischem Rentner-Lächeln – verschmitzt kam es ihm wahrscheinlich vor, eigentlich wirkte es eher nach starrer Verblödung – zitierte: »Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf!« Das war so! Wirklich! »Wahnsinn« und »Begrüßungsgeld«.
    Es tat mir leid, dass ich in einem so historischen Augenblick, am historischen Morgen nach einer historischen Nacht, nach New York fliegen musste. Und dass es »historisch« war, merkte ich auch in New York. Zum Beispiel daran, dass auf einer Wetterkarte im Fernsehen auf einmal das Wetter von Leipzig eingezeichnet war. »Leibzig«, wie es sich auf der amerikanischen Wetterkarte schrieb, mit »b« – umgekehrt wie die »Hapsburger«, die sich in den USA mit »p« schreiben. Hier also »Leibzig«, die »Heldenstadt«, und in den folgenden Tagen war auch in New York dauernd der Schlusschor der »Neunten« zu hören. Wieder weinte ich, wieder schüttelte meine Frau milde den Kopf. »Leibzig – the weather forecast, partly cloudy.«
     
    Was mir damals nicht einfiel, war, dass meine »eigentliche Beziehung« zu Billy Wilder mit dem Mauerbau

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