Auf der Flucht
(»Iz«) Diamond war wie immer dabei. Mit steinernem Gesicht saß er am Rande der jeweiligen Szene, um jede auch nur winzigste Ab wie chung vom festgeschriebenen Text (jedes »äh«, »ah« oder »und«, »also«) zu registrieren und durch Kopf schütteln in Richtung Wilder zu ahnden. Die beiden wohnten im »Kempi«, die Dreharbeiten fanden zum Teil direkt am Brandenburger Tor statt, das Horst (»Hotte«) Buchholz mit seinem Motorrad durchfuhr, wobei er Luftballons bald mit antiamerikanischen (»Ami go home!«), bald mit anti sowjetischen (»Russki go home«) Parolen hinter sich im Fahrtwind flattern ließ.
Außerdem wurde bei der Coca-Cola-Abfüllstation in der Hildburghauser Straße in Berlin-Lichterfelde, vor der imposanten Ruinen-Kulisse der Gedächtniskirche sowie auf dem schönen innerstädtischen Flughafen Tempelhof gedreht. Die Schauspieler waren der von Billy Wilder für diesen Film reaktivierte »Public Enemy«-Star James Cagney, damals dreiundsechzig, die relativ unbekannte neunzehnjährige Pamela Tiffin, die quirlige Schweizerin Lilo Pulver, Jungstars wie Hanns Lothar und komödienerprobte Altstars wie Hubert von Meyerinck (als adeliger Klo-Mann, der schon bessere Zeiten erlebt hat) und der junge Deutsche Horst Buchholz (»Die Halbstarken«, 1956), der 1960 mit den »Glorreichen Sieben« zu Weltruhm gelangt war. Es waren streng geregelte (Cagney schalt Wilder bewundernd wegen seiner »preußischen Strenge«), aber auch heitere Tage, über die ich mich mit Hotte Buchholz noch wenige Wochen vor seinem Tod in der Berliner Paris-Bar unterhalten habe und von denen Lilo Pulver, die Wilder zu einer deutschen Monroe aufgemischt hätte – wäre der Film nicht für Jahre versunken gewesen –, noch heute gerne erzählt, wenn ich sie gelegentlich bei öffentlichen Veranstaltungen treffe.
Ärger gab es wohl am Brandenburger Tor mit der Volkspolizei und am Tempelhofer Flughafen, weil die Dreharbeiten damals den restlos überforderten »Luftbrücken«-Flughafen zusätzlich belasteten. So hat der Film-Architekt Alexander Trauner den Flughafen vorausschauend auf dem Bavaria-Gelände in München nachgebaut und – anders als es die Legende will und es mir Billy Wilder später erzählt hat, weil er sich anders erinnerte und es sich besser so erinnern ließ – auch das Brandenburger Tor in München als teure Filmkulisse erstehen lassen.
Am 13. August wurde die Mauer gebaut, Wilder wurde davon überrascht, als er gerade im »Kempinski« saß. Der Mauerbau, der für das geteilte Deutschland zum schrecklichsten Einschnitt in der ohnehin schrecklichen Teilungsgeschichte im Deutschland des Kalten Krieges werden sollte, führte auch zu einem schweren Knick in der Karriere des damals größten Gesellschaftssatiren- und Komödienfilmers Wilder.
Der in Wien aufgewachsene Journalist war im Berlin der zwanziger Jahre zum Filmdokumentaristen der Stadt (»Menschen am Sonntag«) geworden. Der Freund von Egon Erwin Kisch, mit ihm teilte er eine Wohnung, war Reporter und Drehbuchautor in Berlin, bevor er in die USA emigrierte. Dort lernte er Marlene Dietrich kennen, mit der er später wichtige Filme drehte. Als er 1945 als Kulturoffizier der US-Armee nach Deutschland kam, besuchte er – sobald das möglich war und von der russischen Besatzung gestattet – auch Berlin. Der Eindruck war erschütternd für ihn, prägend; und so, wie das im Krieg zerbombte und zerborstene Wien in Carol Reeds Spielfilm »Der dritte Mann« in einem bleibenden Filmdokument aufbewahrt ist, so ist Wilders (leider so gut wie vergessene) Besatzungs- und Schwarzmarktkomödie »A Foreign Affair«, die er mit Marlene Dietrich 1948 drehte, auch eine authentische Erinnerung an das kriegsverwüstete Berlin, mit seinem von unzähligen Trümmernarben zerfurchten Gesicht. Wilder durfte damals alliierte Luftaufnahmen benutzen.
Wer sehen will, was der Krieg angerichtet hat, sollte sich die Szene, in der eine US-Maschine in die Ruinenwüste Berlin einfliegt, ansehen.
Jetzt also, am 13. August 1961, erlebte Wilder, beim Drehen seiner Komödie über die zwischen Ost und West geteilte Stadt, die scheinbar endgültige brutale Teilung dieser Stadt durch eine Mauer und eine markierte Todeszone – wo er doch im Film der satirischen Einsicht, dass Coca-Cola (als Symbol des weltumspannenden US-Kapitalismus) alle Trennungen überwinden werde, eine Burleske abgewinnen wollte. So recht Wilder auf die Dauer haben sollte – es war in der Tat der menschliche Hedonismus und Egoismus
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