Auf der Flucht
Politiker hätten sich zu dieser Zeit mit ähnlichem Verhalten noch den sicheren politischen Tod bereitet. Heute, 2004, lebt der Kanzler in der vierten, der Außenminister nach der vierten Ehe. Die Scheidungsgesetze, die damals noch auf dem Schuldprinzip beruhten, änderten sich erst allmählich unter dem Druck der Verhältnisse.
Augstein übrigens wohnte 1967 noch am Rande der Ausfallstraße zum Flughafen, in einem ebenerdigen, reetgedeckten Haus am Maienweg; neben der deutschen Boxlegende, dem Coca-Cola-Konzessionär Max Schmeling. Der Verkehr brauste vorbei, es war keine feine Wohngegend. Ober besser: So genau unterschied man das wohl noch nicht.
Von diesem Haus aus nahm mich Maria Augstein bei meinem nächsten Hamburg-Besuch – ich hatte mit der Chefredaktion der »Zeit« meinen Wechsel von Stuttgart nach Hamburg, von der »Stuttgarter Zeitung« zum Feuilleton der »Zeit« besprochen – am Abend mit zu dem Ehepaar Coulmas, das wohl außerhalb Hamburgs wohnte, jedenfalls fuhren wir mit ihrem Sportwagen über die Autobahn.
Peter Coulmas (wieder erschrecke ich, während ich das schreibe) empfand ich damals als einen feinen, alten Herrn mit einem feinen Stimmchen – in Wahrheit war er gerade mal Anfang fünfzig –, er gestaltete beim NDR das höchst einflussreiche, kultivierte Highbrow-Nachtprogramm des Hörfunks, der damals etwas viel Feineres, viel Einflussreicheres war als das Flimmerkasten-Fernsehen mit seinen Bunte-Abend-Programmen. Das Ehepaar Coulmas betrieb in diesen Jahren eine Art Salon. Beide waren Griechen, beide sprachen perfekt Deutsch (ebenso wie Englisch und Französisch), und sie luden immer wieder Menschen aus der Politik, der Kultur, dem Journalismus zum Gedankenaustausch und zum Essen und Trinken ein. Später in Köln verkehrten Gustav Heinemann oder Willy Brandt in ihrem Hause. Die beiden bildeten eine Art inoffizielle Vernetzungsstation; ihre Küche, ihr Lammbraten, ihre Mousse au Chocolat wurden hoch gerühmt, er galt als Koch der Nachspeisen, sie war eine reizende junge Gastgeberin, Dozentin an der Uni und im diplomatischen Dienst. Ein exotisches Flair umgab die junge Frau, die Danae hieß und sehr spontan und gut gelaunt wirkte, während ihr Ehemann ihren sprudelnden Ausführungen mit weisem Wohlwollen hinterherlächelte: Er war stolz auf seine aparte Frau und bedachte sie gleichzeitig mit einer gewissen Nachsicht, wie sie gereiften älteren Herren ihrer jungen Gefährtin gegenüber angemessen scheint – auch zum Selbstschutz.
Unter den Gästen war auch Klaus Rainer Röhl (K2R war sein Spitzname), ein gelackt wirkender Mann mit langen Koteletten. Er war, das wusste ich, Herausgeber der Zeitschrift »Konkret«, wirkte mit seinem glatten Lächeln, das er zu einem dämonischen Grinsen zu kultivieren suchte, und seinen pomadigen Haaren eher schmierig; eher gedrechselt als witzig, eher als Hugh-Hefner-Abklatsch, weniger als linker Journalist. Man hätte sich nie gewundert, wenn er in der nächsten Minute einen Tango aufs Parkett gelegt hätte. Dennoch artikulierte er sich ständig politisch, aber die Sätze passten nicht zu seinem etwas ironisch unverbindlichen Auftreten.
Zwischen der Gastgeberin und ihm herrschte ein tiefes Einverständnis aus Neckerei und Widerspruch, aber vielleicht bilde ich mir das nur aus dem Rückblick ein, nachdem ich weiß, dass die Affäre zwischen den beiden (vom Ehemann Coulmas gebilligt; aus Schwäche?, aus Toleranz?, aus einer Mischung aus beidem?) die Ehe Röhls mit Ulrike Meinhof gesprengt hat. Ulrike Meinhof, von der ich viel Bewunderndes gehört und deren linke Kommentare ich gelesen hatte, war an diesem Abend nicht da. Röhl war mir unsympathisch, mit Danae habe ich nicht viel gesprochen.
Später, da war ich schon Redakteur bei der »Zeit«, war ich oft bei meinem Kollegen Dieter E. Zimmer in der Rothen baumchaussee eingeladen, der, mit einer ironisch klugen wie ungezwungenen Frau verheiratet, auch eine offene Ehe führte. Sie hatten zwei Töchter und ließen einander trotz dem, auch öffentlich, jeden Spielraum – ein Versuch, das Zusammenleben zu retten, der nicht zum Ziel führte. Auch hier traf ich Anfangs Röhl, der sein Verhältnis zu Katha rina Zimmer gerade beendete; nicht wegen seiner Ehefrau Ulrike Meinhof, sondern wegen Danae Coulmas.
Es waren seltsame Abende zwischen den die Wohnung allmählich erdrückenden Bücherregalen – die liefen schließlich auf Rollen auch quer durch die Zimmer. Aus einer Art höhnisch-zynischer
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