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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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1961 begonnen hatte, als er »Eins, zwei, drei« drehte. Und dass sich jetzt, mit dem Mauerfall 1989, ein Kreis schloss. Und dass er mehr mit »Hapsburg« als mit »Leibzig« zu tun hatte, auch jetzt, wo er seine wunderbaren Mädchen-Akte Schie l es und seinen großartigen Balthus, das Bildnis der in der Welt fröstelnden Zwölfjährigen, die, fast lebensgroß, in dem Schlafzimmer der Wilders in Westwood hing, ver steigern ließ. Nabokov, Kisch, Schiele, Molnar – es war das alte Österreich (»Hapsburg«), das wir beim gemeinsamen Stöbern in Wilders Vergangenheit, beim gemeinsa men Erinnern (das ich dann aufschrieb) aufspürten – so als gäbe es eine gemeinsame Rumpelkammer, einen sperrig verstellten Dachboden mit Altem in unserer Erinnerung.
    Zu Beginn unserer Gespräche, 1987, war ich durch seine Filme und die eigene Suche nach den österreichischen k.u.k.-Wurzeln eigentlich gut eingestimmt gewesen. Jeden Morgen trafen wir uns Punkt zehn vor seinem Büro im Brighton Way, nahmen uns aus dem von einem Israeli betriebenen Café im Erdgeschoss jeder einen im Styropor-Becher dampfenden Kaffee mit, dessen Milchhaube sich Wilder reichlich mit Kakao bestreuen ließ, und unterhielten uns, während mein Kassettenrecorder lief, bis etwa ein Uhr über Wien, Berlin, London, New York, Paris: er leicht stockend im Deutsch seiner Kindheit, das er mit amerikanischem Akzent und mit zahllosen amerikanischen Wendungen gespickt sprach, wenn er beispielsweise erzählte, dass ein Schauspieler wie Jack Lemmon dazu neigte, mit dem Finger »on the trigger«. also am Abzug der Pistole, also mit äußerstem Einsatz zu spielen. Mittags gingen wir meist zu Jonny Rockett's, einem nostalgisch im Artdeco-Look der vierziger Jahre aufgemachten Burger-Lokal und aßen, nebeneinander sitzend, jeder einen Burger, was bei dem sperrigen Format der in eine Papierserviette geklemmten dicken Semmel mit dem dicken Hackfleisch dazwischen nicht immer leicht war. Ich habe Wilder auch noch bei späteren Besuchen – da war er fast neunzig und schließlich wirklich neunzig – zu Jonny Rockett's auf einen Burger begleitet und gerührt bewundert, wie der alte Mann unter dem jungen Personal, den jungen Kunden-Pärchen und begleitet von Frank-Sinatra-Musik aus der nostalgischen Juke-Box mit seinem bröckelnden Burger kämpfte, meist erfolgreicher als ich, der ich fast dreißig Jahre jünger war. Aber später, als seine Hände zu zittern begonnen hatten, bekleckerte er sich die Jacke; die jungen adretten Pächter, schwarzlockige junge Männer mit schrägen Käppis und New Yorker Akzent, halfen ihm dann und bemühten sich um ihn, ohne ihm das Gefühl der Hilflosigkeit zu geben, das nur in wenigen gequälten kurzen Blicken durch seine dicken Brillengläser sichtbar wurde.
    Mit achtzig ging er noch leicht, locker, elegant, den Hut trug er verwegen aus der Stirn geschoben, seiner Stimme gab er einen federnd munteren Klang, er machte Witze, Spaße, die sich aus der Situation entwickelten, ich habe niemanden so lange so erfolgreich gegen das Alter kämpfen sehen – am Steuer seines Autos, im Gespräch, am späten Abend am bevorzugten Tisch Nummer eins im »Spago's« am Fenster des scheußlich provisorisch wirkenden Baus, das auf den Sunset Boulevard blickt. Er war lange Sieger, holte noch länger ein Unentschieden gegen das Alter heraus und gab sich erst geschlagen, als er wirklich geschlagen war; da habe ich gemerkt, wie unentrinnbar Fluch und Segen des hohen Alters sich verbünden und wie aus dem Segen zwangsläufig ein Fluch werden muss.
    Zu seiner Entourage – mittags war er nie mit seiner Frau Audrey zusammen, abends immer – zählten oft der Fotograf Helmut Newton und dessen Frau und der englische Maler David Hockney, dessen skurrilen Witz Wilder hoch schätzte (auch in London habe ich Wilders Liebe und Bewunderung für das Britische kennen gelernt, wie dann auch seinen wundersamen Film »The Private Life of Sherlock Holmes«, ein verkanntes Meisterwerk, das nur als Ruine existiert). Eine Zeit lang gingen wir mittags regelmäßig auch mit dem »Singin' in the Rain«-Regisseur Stanley Donen essen, bis diese Freundschaft durch Donens Heirat mit einer jungen Frau aus Zeitmangel einschlief. Aus Deutschland kamen Willy Eggert und Volker Schlöndorff regelmäßig. Beide, besonders aber Willy Eggert, der treueste Kumpan aus europäischen Drehzeiten, waren bei Audrey Wilder wenig beliebt und nur mit Mühe gelitten, so als vermutete sie eine Art Männerkumpanei, wie

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