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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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sie Frauen in Skatrunden oder Betriebsfreundschaften misstrauisch beäugen. Hinzu kam, dass Audrey kein Wort Deutsch sprach und sich also beim Lachen über deutsche Scherze ausgeschlossen fühlte. Überhaupt Europa, Deutschland: Audreys unverhohlener Hass galt Marlene Dietrich, über die sie ständig den Satz wiederholte: »Marlene!? She was the worst!« Die war die Schlimmste! Konnte und wollte sich nicht dezent benehmen.
    Was wiederum Marlene Dietrich von Audrey hielt, lässt sich in den Memoiren ihrer Tochter nachlesen; sie hielt Audrey für »spießig«, eine solche Frau habe Wilder nicht verdient. Einmal, als Marlene mir gegenüber bei unserem ersten Telefonat sehr gesprächig und munter war (wie später nie wieder), sagte sie, dass sie Wilder geliebt habe (es war jenes »geliebt«, wie es Amerikaner auch für »mögen« verwenden, auch wenn sie es mir deutsch sagte), »geliebt«, fügte sie seufzend hinzu: »… aber seine schreckliche Frau!«
    Trotz alledem habe ich zwischen Wilder und seiner Frau nie den leisesten Misston, nie die leiseste Spannung gespürt; beide wussten, dass sie einander brauchten; sie waren Verbündete, die engsten Alliierten im letzten Gefecht; verständlich, dass Audrey dabei auf alles misstrauisch eifersüchtig war, was aus einer Sprache, einer Zeit, einer Welt stammte, die ihr verschlossen, wenn nicht zuwider war. Sie waren seit 1945 verheiratet, wahrscheinlich das am längsten verheiratete Paar Hollywoods, übrigens ein kinderloses Paar. Die schönste Liebeserklärung hat Wilder ihr in seinem Film »Sunset Boulevard« von 1950 gemacht.
    Das heißt, einmal, ein einziges Mal, habe ich zwischen den beiden einen Missklang erlebt; da war unsere gemeinsame Arbeit schon abgeschlossen, und die beiden führten mich bei einem Besuch ins »Spago's« zu Wolfgang Puck aus. Der O.-J.-Simpson-Prozess war gerade vorbei und der des Mordes angeklagte schwarze Star (»Die nackte Kanone«) gerade freigesprochen worden. Beide Wilders waren entsetzt. Und so kamen sie auch auf den berühmten Anwalt zu sprechen, der Simpson verteidigt hatte. »Ich kann nicht verstehen, wie er diesen Fall übernehmen konnte«, sagte er. »Na das ist doch klar«, sagte Audrey, »wegen des Geldes. Weil er ein Jude ist.« Über Wilders Gesicht lief ein Schatten, einen Augenblick sah er aus, wie er immer aussah, wenn er etwas Dummes hören musste. Es war Verlegenheit, die die Züge eines Gesichts für einen Augenblick verschwimmen lässt. Dann sagte er ihr, wie »sie denn so etwas sagen könne …«. Aber da war es auch schon vorbei und wir wechselten das Thema.
    Der amerikanische Hollywood-Historiker David Thomson, der das amerikanische Kino in hervorragenden Einzelporträts der Macher und Protagonisten dokumentiert hat, schrieb über Billy Wilder: Er »brachte es fertig, dass Old Hollywood wie eine Wiener Vorstadt wirkte«. Das ist wahr und doch ist auch das Gegenteil wahr, nämlich dass Wilder mit Leib und Seele Amerikaner war. Er liebte das robuste pragmatische Demokratieverständnis, das er hier vorfand, und mit großer Leidenschaft hat er immer wieder erzählt, wie ihn der Einwanderungsbeamte an der mexikanischen Grenze – er musste pro forma, um in die USA immigrieren zu können, noch einmal für ein paar Tage auswandern – gefragt habe, was er denn für einen Beruf ausübe. Filmemacher? Regisseur?, habe ihn der Grenzbeamte gefragt, ihm den Stempel in sein Papier geknallt und ihn aufgefordert: »You want to make movies? Make good ones!«
    Diesem Mann hat er sich, so war zu merken, immer verpflichtet gefühlt. Und er hat in der Folgezeit gespürt, dass die USA selbst in den Restriktionen, als zu viele Flüchtlinge aus Europa in das Land wollten, immer stolz auf Menschen waren, die Amerikaner werden wollten.
    Allerdings mussten sie es aus eigener Kraft schaffen. Und die schweren Jahre, in denen Wilder im Vorraum der Toilette im Hotel »Marmont« schlafen musste und wirklich Hunger litt, hat er seiner neuen Heimat, die er mit all ihren Fehlern und Schwächen als das gelobte Land, das »promised Land« ansah, nie angerechnet, immer nur sich selbst.
     
    Während der Gespräche mit ihm erschien in Amerika das Buch von Neal Gabler, »An Empire of their Own« mit dem Untertitel »How the Jews invented Hollywood«.Wilder hat mir gesagt, wie erschrocken er anfangs über den Titel und den Untertitel gewesen sei. »Ihr eigenes Reich«, »Wie die Juden Hollywood erfunden haben«. Aber dann habe er beim Lesen entdeckt, wie gescheit

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