Auf der Flucht
als junge, braun gebrannte Menschen, losgelöst von aller Erdenschwere, »high« von Gras, von der Freiheit und der Musik Eric Claptons, auf Motorrädern durch das unendlich weite, unendlich freie Land fuhren, die Haare lang, blond, verfilzt, aus allen Ritzen und Poren drang der Sound von Woodstock, man aß Submarines und trank Rootbeer, es gab die Beatles, die Stones, die Beach Boys, Cat Stevens und in den heißen Sommernächten sprangen wir in die Seen Vermonts, holten uns beim Schlafen im Freien Brandflecken vom Poison Ivy, Amerika erlebte seine Blumenkinder-Revolte, seine Anti-Vietnam-Befreiungsdemonstrationen. Vielleicht weil mich Amerika an dem College jünger machte, als ich war, hatte ich diese Jahre als meine schönste Zeit erlebt.
Andererseits hatte ich durch den Züricher Lektor Gerd Haffmans, der die spannendsten Reihen bei Diogenes betreute, zuerst Chandler und Hammett übersetzt und war von ihm gebeten worden, mit Armgard (die ein Jahr in Neuengland, in Rhode Island, zur Schule gegangen war) eine Reihe von Woody-Allen-Stücken ins Deutsche zu übertragen. Wir hatten »Manhattan« übersetzt – es war der gleiche Sound, den die junge Aufbruchsgeneration der Studenten, Werbemenschen, Musiker, Galeristen und Filmemacher in New York wie in Berlin, Hamburg oder London erzeugte, ein Gemisch aus Frechheit und Altklugheit, aus Lässigkeit und Betroffenheit, die sich mit Schnoddrigkeit tarnt. Wir wollten Allen treffen, um ihn, unter anderem, zu interviewen. Ihn kennen zu lernen. Persönlich. Was natürlich nicht gelang. Persönlich lernt man Filmemacher am besten in ihren Filmen kennen.
Vorher hatte Haffmans mich zu einer Veranstaltung des Diogenes-Verlags nach Zürich gebeten, an der auch Woody Allen teilnehmen sollte. Aber der berühmteste New Yorker jüdischer Herkunft, der über Spott und Ironie verfügte und dem amerikanischen Kino-Heldenbild einen schmalbrüstigen, stotternden, verschüchterten, aber unendlich witzigen Gegenhelden erfolgreich entgegensetzte, war damals ein scheues Wild: Er kam nicht und so stand ich, auch in seinem Namen, auf einmal allein auf der Bühne. Dass ich einige Lacher hatte, die das dankbare Publikum mir auch spendete, weil ich mich schüchtern auf Allens Spuren verhedderte, habe ich dankbar wie eine Wohltat genossen. »Du kannst Menschen, du kannst ein Publikum spontan zum Lachen bringen – und zwar durch freiwillige, nicht durch unfreiwillige Komik, und wenn durch unfreiwillige, dann indem du so tust, als wäre sie freiwillig.« Das war für mich eine Erfahrung, die ich von nun an als Wiederholungstäter provozieren wollte. Egal: Künftig wollte ich beides sein: »seriöser« Kritiker und Spaßmacher, und bin dafür, nicht nur gelegentlich, böse auf die Schnauze gefallen.
Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht. Und um zu erklären, was ich meine, fällt mir mein Sohn Niko ein, der oft mit mir beim Mittagstisch um die Wette blödelte. Manchmal sind ihm, dem Vierjährigen, wahrhaft geniale Scherze gelungen, manchmal stöhnten seine drei Jahre ältere Schwester Laura und seine Mutter, wenn seine Witzversuche furchtbar danebengingen. Aber ich ermunterte ihn, indem ich ihm sagte: Wer treffen will, muss auch viele Versuche riskieren, die danebengehen. Es ist wie beim Fußball – um ins Tor zu treffen, muss man den Mut und das Herz haben, auch danebenzuschießen.
Meine Frau gab sich nur scheinbar strenger mit den Späßen ihres Sohnes; sie hatte über Karl Valentin promoviert (was allein genommen noch kein Ausweis für Komik wäre), aber uns verband zuerst auch die Liebe zu Karl Valentin, und sie ließ Tochter und Sohn schon im frühen Alter die gleichen Filmkassetten ansehen, die auch wir für uns immer wieder abspielten, jetzt gemeinsam mit den spontan auf Chaplins »Großen Diktator«, Wilders »Sabrina« oder Lubitschs »Sein oder Nichtsein« reagierenden Kindern. Ich habe Laura für ihre Tränen bei »Sabrina« besonders gern in die Arme genommen, weil sie mir nachträglich ein Tauglichkeitszeugnis für meine mit schlechtem Gewissen vergossenen Tränen während meines Studiums ausstellte.
Im Herbst 1981, als wir Woody Allen besuchten, kamen wir aus dem herrlichen Indian Summer in Vermont, bei dem die weißen Häuser im flammenden Rot, Gelb und Braun der glutvoll verwelkenden Ahornblätter als Inseln menschlichen Wohlseins aufleuchteten, nach New York, stellten uns in Kino-Schlangen und trafen im »Russian Tearoom« Woody Allens Produzenten Rollins, der für uns als
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