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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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international Beachtung gewannen, mit Ausstellungen und Preisen in Kanada, in China, in Japan. Und so war das Plakat für das Stück (später noch eins für meine Komödie »Innere Sicherheit«) eines Daniel Doppler neben dem für Schillers »Räuber« oder Goethes »Faust« und Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick« in internationalen Katalogen des preisgekrönten Plakatemachers zu sehen.
    Ich hatte die Komödie im Winter auf Sylt geschrieben, wo wir mit meiner kleinen Tochter in Augsteins Haus Ferien machten. Ich schrieb, wenn ich Laura nicht durch den steifen Wind auf den Schultern trug, wir drei hatten rote Backen und lebten in Räumen, wo noch das Kinderspielzeug und die Kinderhochbetten standen, die aus einer früheren Ehe Augsteins stammten; Teddybären, die übrig geblieben waren, Bauklötze, mit denen niemand mehr spielte, so etwas wie eine kindliche Glasmenagerie – und etwas von dem elegischen Geist, wie ihn alte Dachböden oder Keller mit abgelebten Schaukelpferden verströmen, sollte sich auch in meiner Komödie niederschlagen.
    Ich war so aufgeregt, als ginge es an diesem düsteren Sonntag wirklich nach Hollywood, und mir fiel ein, wie ich zum ersten Mal 1950 aus Westdeutschland zurück in die DDR nach Bernburg gekommen und an der Saale-Brücke die Ernst-Thälmann-Straße hochgelaufen war. Ich hatte eine Art Anzug an, eine Jacke, die sich, obwohl ich dünn war, zu eng um meine Brust spannte, die Ärmel zu kurz, dazu eine Hose, die zu weit war, mit einer Sicherheitsnadel enger gesteckt, abgelegte Sachen meiner westdeutschen Verwandten. Aber zum ersten Mal hatte ich richtige, nagelneue Lederschuhe an. Und so kam ich mir auf der leeren Straße vor, als stünde ich im Zentrum der Welt.
    Nach der Wiedervereinigung habe ich in Bernburg im Theater vorgelesen, aus meinem »Go West«-Buch, und die Straße, die zur Post hochführt und nicht mehr Thälmann-Straße hieß, sondern Wilhelmstraße, wieder gesehen, schäbige Läden, die nicht spürbar von der Wiedervereinigung profitiert hatten, abbröckelnde Fassaden; das, was mir Jahre vorher wie eine wichtige Hauptstraße vorgekommen war, hatte ich mit meinen neuen blitzenden Schuhen erobern wollen.
    Osnabrück kam mir auch vor wie Hollywood, obwohl die Stadt nach ihrem Wiederaufbau eher an Faller-Häuser neben Märklin-Eisenbahnen erinnerte – sauber, adrett, voller Grünanlagen und Fußgängerzonen, am Sonntag leer, noch dazu im November, obwohl sich am Abend der Regen verzogen hatte und es nur noch diesig kalt war. Vor zwei, drei Jahren habe ich gelesen, dass in Osnabrück laut einer repräsentativen Umfrage die zufriedensten Deutschen leben. Das hängt mit meinen dortigen Theateraufführungen, den Lesungen, den freundlichen Rezensionen, die ich dort bekam, sicherlich nicht ursächlich zusammen, aber immerhin hat mir die Stadt des Westfälischen Friedens das Gefühl gegeben, zum ersten Mal von einem Publikum beklatscht und also geliebt zu werden. Und die Liebe des Publikums (bei Lesungen oder TV-Sendungen) ist das, was mir, wie ich gern gestehe, außerordentlich wohl tut. Nach langen Bahnfahrten im nassen November – in Deutschland ist eigentlich fast immer November –, nach Nächten in Hotels, die meist scheußlich fremd modern sind, nach Wartereien auf zugigen Bahnsteigen, nach Nachmittagen in Cafés, wo die Garderobenständer mit klammen Wintersachen überbehängt sind; nach all dem – und bevor man rotweinschwer in ächzende Betten fällt, auf denen ein Stück Konfekt oder ein Tütchen Haribo wartet – sind die Lesungen vor Publikum das Schönste, was einem widerfahren kann. Fast das Schönste. Es ist Zuwendung, die man erlebt. Und dass Zuwendung nur der gewinnt, der sich seinem Publikum zuwendet, versuchte ich in vielen Jahren an der Hamburger Akademie für Publizistik jungen Volontären beizubringen:
    Stellen Sie sich vor, eine Freundin oder ein Freund von Ihnen war verreist, als Sie den Film gesehen, das Konzert besucht, die Theaterpremiere erlebt haben. Und er fragt Sie jetzt, wie es denn war. Und Sie erzählen es ihm. Aus dem Impuls heraus, ihm Lust zu machen, das auch zu erleben. Oder aber, um ihm die Enttäuschung zu ersparen. Ob bei Kritiken, bei Lesungen, beim Bücherschreiben, bei Dialogen auf der Bühne – stets muss man sich denjenigen zuwenden, die man von einer Sache überzeugen, für eine Sache gewinnen will.
    Als in Osnabrück nach einer Szene (der Monolog einer leibhaftigen Heiratsannonce in der »Zeit«) die Zuschauer lachten, dem

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